Sehr entspannt sehe ich Steffi zu, wie sie den Obstspieß in ihrem Bellini zwei Mal im Kreis rührt, reflexartig fange ich ebenfalls an zu rühren. Dass Schaumwein seinen Namen verdient, bemerken wir eine Sekunde später, als der apricotfarbene Drink über den Glasrand läuft und runde Seen auf dem Tisch hinterlässt. Uncool in zwei Sekunden. Und das auch noch in Berlin. Die Bedienung rührt verbal noch einmal um: „Ja, wat meint ihr denn – deshalb sitzt Ihr ja och in der hinteren Ecke, wa?“ Lacht – und ab. Wir lachen mit. Und trinken schnell aus.
Wenn man als Hamburger meint, in einer Großstadt zu leben, sollte man dringend nach Berlin fahren. Um mal ein Wochenende in einer Großstadt zu leben. Ich liebe Hamburg. Eine geborene Krabbenschubserin bin ich, eine Küstenlady, eine Kutterbraut, ich liebe die Döntjes und die Tüdelbüdel, und selber dumm Tüch schnacken – doch Hamburg ist ein salziges Dorf, keine scharfe Stadt. Und damit stimme ich nicht in das Gestöhne der Kulturköpfe mit ein, die einmal erklären „Hamburg ist tot“ und dann mal wieder „Stadt XY ist tot“ oder auch gern „Hier oder dort ist der Place to be“. Interessiert mich nicht. Hamburg ist meine Heimat. Die kann nicht tot oder lebendig sein.
Aber zurück zur Großstadt, zurück zum bunten B.
Berlin ist für uns nach wie vor ein Understatementphänomen. Friseur Dennis Creuzberg? Einfach bei diesem unscheinbaren Mietshaus ganz oben klingeln, und hinter einer noch unscheinbareren Tür stehen wir im schicken Frisurenatelier – fusselig rein, perfekt gestylt wieder raus, drei Zentimeter überm Boden schwebend, da wir „Nicht muttimäßig aussehen“ und „Die Frisur zu den lässigen Klamotten passen sollte.“ DANKE. Danke. Danke. Und das von 25jährigen gut aussehenden Männern. Wie nett. Oder Mitleid. Oder die Jungs wissen, wie man Trinkgeld macht. Auch okay.
Nach Kichererbsenteller und interessantem Gespräch mit einem Kreativen aus New York City, der lieber in Berlin leben möchte, gehen wir ins Hotel.
Motel One hatte ich eigentlich in guter Erinnerung – man weiß was man bekommt, es liegt zentral, hat immer die gleiche Qualität zu einem günstigen Preis. Aber erster Stock zur Straße ist nicht ideal … Na ja, wollen wir mal nicht rumzicken. Fenster bleibt zu, die Klimaanlage an. Aber wieso ist es so warm hier? Das Rad an der Klimaanlage klickt zuverlässig wenn ich es unter 22 Grad drehe – AUS. Bei der Rezeption erklärt man mir, dass die Anlage in den Wintermonaten nicht unter 22 Grad läuft, in dieser Zeit ist sie als Heizung zu verstehen.
Ein paar Stunden später haben wir die Wahl zwischen zwei Träumen.
Fensterzutraum: Wir sitzen im Latexanzug und von drei Daunendecken umhüllt in der 95-Grad-Sauna, Aufgusszeit.
Fensterauftraum: Unser Bett steht auf einer Verkehrsinsel, links neben uns drei Spuren stadteinwärts und rechts drei Spuren stadtauswärts. Die Luft ist kühl, doch Lichtblitze, Hupen und Motorengeknatter neben den Kopfkissen lassen uns denken, wir stünden mit unserem Bett auf einer Verkehrsinsel.
Wieder ein paar Stunden später stehe ich mit unvorteilhaftem Morgenstyling, roten Augen und tiefen Augenringen an der Rezeption und bettle um Mitleid und ein anderes Zimmer. Schlafmangel bringt nicht die besten Seiten in einem Menschen hervor, und perfide spiele ich mit Grabesstimme die Kinderkarte aus: „Seit sechs Jahren wenig Schlaf“, „Endlich mal ein Wochenende frei“, „Wenigstens hier durchschlafen“. Etwas viel Melodram, doch unser neues Zimmer liegt im 9. Stock zum Hof raus.
Unsere Sachen sollen wir im Gepäckraum zwischen lagern, unser neues Zimmer sei erst am Nachmittag frei. Der Mann, der uns das Gepäck abnimmt, wirkt über die Menge irritiert („Drei oder vier Paar Schuhe? Egal, pack alles ein, Steffi! Wir hauen den Kofferraum voll und von der Tiefgarage aus gibt es einen Fahrstuhl!“), bei einigen Taschen über das Gewicht und bei einer anderen über meinen Hinweis, er möge diese Tasche bitte nicht hinlegen, die Flasche darin stehe zwar recht sicher, sei aber offen.
Früher Nachmittag, wir schlendern durch die Neue Schönhauser Straße, gehen bei 14 oz. rein, und ich stolpere fast benommen von Kleiderständer zu Kleiderständer – so viel Schönheit in einem Laden ist kaum auszuhalten. Jedes zweite Teil könnte ich mitnehmen, mein Kleiderschrank würde wohlig ächzen, die Verkäufer und Verkäuferinnen – was für lässige, interessant aussehende Menschen. Eigentlich möchte ich doch nichts kaufen, ich möchte mich nur in den kuscheligen Sessel in der Ecke setzen und zuschauen; einfach da bleiben und hoffen, dass irgendetwas hiervon auf mich abfärbt.
In der Alten Schönhauser Straße angekommen, hocken wir uns vor die Ponybar in die Sonne, wir brauchen Alkohol statt Kaffee. Die Realität hier draußen trinken wir uns einfach genauso schön. Funktioniert. Meine Sitznachbarin hat tolle Schuhe an. Nachdem sie mir verraten hat, dass die von Isabel Marant sind (danke, Steffi, dass Du mir eine Woche vorher erzählt hast, wer das ist, und ich mich in dem Moment durch „Isa-wer“-Fragen nicht zum Obst gemacht habe), bekommen wir den besten Tipp des Wochenendes: den Secondhand-Laden im Hinterhof, drei Türen weiter.
Und nun geht es wieder zum Essen: Department Berlin. Noch ein Hinterhof, wieder ein unscheinbarer Eingang, wieder ein erstaunliches Innenleben. Im ehemaligen Postamt sitzen wir unter einem Kuppeldach und sehen später an der Bar stehend zu, wie die Tische weggeräumt werden, um fürs Tanzen Platz zu schaffen. Da kann das Licht so schummerig sein wie es will – hier sind alle deutlich jünger. Doch feiern können die nicht. Ein seltsamer Mix aus Diskoschlagern, Abba und ollen Kamellen läuft, die Mädels haben alle zu hohe Schuhe und zu freie Schultern, um sich entspannt bewegen zu können. Und dann kommt etwas, das habe ich ewig nicht gesehen: Sie legen ihre Taschen in die Mitte und die Püppies tanzen, nein, tänzeln im Kreis drum herum. Sieht doof aus. Ständig werden Tops festgehalten, Haare mit gespreizten Fingern zur Seite geschoben und kurz geguckt wer guckt, ab und zu stimmen sie alle in kleine hohe „Wuhuu!“-Kiekser ein. Waren wir in dem Alter etwa auch so? Wie laaaangweilig! Zurufen möchte ich ihnen: „Gebt Gas! Seid jung, schert Euch nicht um Eure Haare, nehmt ne Schicht vom Gesicht und bewegt Eure Hintern vernünftig!!“ Und dann ordern wir noch einen Borgmann Mule und freuen uns, dass wir die Gelassenheit des Alters erreicht haben.
Wir tun, was wir immer tun, wenn wir „das“ Jahreswochenende zusammen verbringen: Essen, trinken, wenn das Zimmer es zulässt – schlafen, ausgehen, shoppen, lachen, tratschen, schweigen, entdecken, shoppen, trinken. Jedes Jahr eine andere Stadt – doch wir haben das Gefühl, mit Berlin noch nicht fertig zu sein. Shoppingmäßig.