Von dieser Krise, die uns alle eint, ist hier und da die Rede, von einer neuen Solidarität. Ja, doch da sind auch noch die, die sich an der Not der anderen bereichern. Und so stellen wir in vielen Bereichen fest: Die Unterschiede zeigen sich häufig deutlicher als die Gemeinsamkeiten.
Weder die sozialen Voraussetzungen holen uns in ein Boot, noch die Art unserer Jobs – einige von uns befinden sich in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen und müssen sich keinerlei Sorgen machen, bei anderen geht gerade eine ganze Branche unter und die berufliche Zukunft steht in den Sternen. Doch das bedeutet nicht, dass es denen mit dem sicheren Job zwangsweise besser geht.
Vielleicht ist der mit dem sicheren Job in einer mental stark belastenden privaten Situation gefangen, vielleicht verfügt der mit dem Jobverlust über so eine hohe Resilienz, dass er durch diese Krise mental gut durchkommt und Alternativen findet.
Es gibt kein Schwarz und Weiß – und es gibt nicht das eine, was uns alle eint. Außer, dass da etwas von außen in unser Leben eingreift, worüber wir keine Macht haben, was uns zunächst einmal die vermeintlich vorhanden Kontrolle über unser Leben aus der Hand nimmt. Warum vermeintlich? Weil wir uns in einer Sicherheit gewähnt haben, die es nicht gibt. Das anzuerkennen, das zu akzeptieren, ist für viele die größte Herausforderung.
Einigen kommt es vor, als habe man ihnen das Steuerrad ihres Lebens aus der Hand genommen, sie fühlen sich ohnmächtig, nicht in der Lage zu agieren, nur noch zu reagieren, das Gefühl, keine Wahl mehr zu haben. Ja, in einigen Punkten zeigt uns diese Situation natürlich Grenzen unseres Handlungsspielraums auf.
Eine Gemeinsamkeit in der Krise
Doch es gibt bei allen Unterschieden einen Bereich, in dem wir eine Entscheidung fällen können – in dem wir eine Wahl haben. Und zwar bei der Frage: Wer wollen wir sein – in dieser Krise?
Wir haben die Freiheit, uns zu entscheiden, wie wir mit dieser Krise umgehen. Jetzt mag der ein oder andere denken „Wenn es mir richtig schlecht geht – wenn ich am Boden bin – wo ist da noch eine Entscheidungsfreiheit?“
Wer so denkt, dem möchte die Lehre Viktor E. Frankls ans Herz legen – die Logotherapie, auch Existenzanalyse genannt. Viktor E. Frankl überlebte vier Konzentrationslager – und schrieb nach seiner Befreiung das Buch „… und trotzdem Ja! Zum Leben sagen“. Frankl sagte: „Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen“. Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht Konzentrationslager und Corona in einen Topf werfen – es geht vielmehr um die Haltung, um die Freiheit der Entscheidung zur eigenen Haltung, die jeder Mensch in einer noch so ausweglosen Situation hat.
Frankls Logotherapie hält uns auch heute noch dazu an, darüber nachzudenken: Wer wollen wir sein in der Krise? Möchte ich derjenige sein, der von Angst getrieben anderen Menschen die Nudeln und das Toilettenpapier wegkauft und misstrauisch meiner Umwelt begegne? Oder möchte ich jemand sein, der mit einem offenen Herzen und Hoffnung diesen Weg beschreitet – der dankbar ist für das, was da ist – und der den Hindernissen nicht mit Egoismus, Anspruchsdenken und Angst begegnet. Der eine Haltung zum Leben und seine Werte bewahrt, die ihm nichts und niemand nehmen kann.
Ich kann einen Zaun um mich und meine Ängste ziehen, zusehen, dass es mir gut geht, mir all die schlechten Nachrichten in meine Welt holen und meine Angst damit befeuern – oder ich kann großzügig sein, ich kann die Türen aufmachen. Ich kann schauen, ob es anderen schlechter geht als mir – wo ich helfen könnte, und sei es, gute Gedanken zu verbreiten, Telefonate zu führen, im Tierheim als Gassigeher anzufangen.
Ich sage es mal salopp: Der Drops ist gelutscht, wir haben den Salat, wir können an der Existenz von Corona nichts ändern. Und nun stellt sich die große Frage, wie wir damit umgehen. [ss_click_to_tweet tweet=“Etwas von außen beeinflusst unser Leben nachhaltig, bringt uns mitunter zum straucheln oder zum stolpern. Die Krise ist da – das konnten wir nicht entscheiden. Doch wir haben die Wahl, wie wir damit umgehen.“ content=“Wenn wir zurückschauen auf diese Zeit – was für einen Menschen möchten wir sehen, wenn wir uns daran erinnern, wer wir in dieser Krise waren?“ style=“4″ link=“1″ via=“1″]
„Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limonade draus“ – natürlich klingt dieser Satz erstmal nach Sinnspruch am Kühlschrank für Menschen, denen es ohnehin grundsätzlich gut geht und die eh schon genug Limonade im selbigen stehen haben. Wer in weniger privilegierten Umständen lebt, fragt natürlich „Und woher soll ich den Zucker dafür nehmen?“ Doch wenn es stimmen würde, dass nur die Glücklichen die Welt ein bisschen besser machen können, die die genug Geld und Liebe haben, dann würde das ja bedeuten, dass die Menschen im Ehrenamt, in den Mitternachtsbussen, hinter den Tresen beim sozialen Mittagstisch oder im Tierschutz – dass das alles finanziell und sozial Privilegierte sind. Sind sie natürlich nicht.
Aber sie sind eben die, die Freiheit der Entscheidung genutzt haben, um etwas Gutes zu tun.
Ihre Einstellung zum Leben ist der Zucker, der zur Limonade fehlt, wenn das Leben Zitronen reicht – nicht mehr Geld, nicht mehr Sicherheit.
Wenn man möchte, kann man neben all den wohltätigen Organisationen auch viele einzelne Beispiele dieser Menschen im Internet finden: Die Lehrern aus München, die die Monatsmiete für einen kleinen Buchladen übernimmt – die von sich selbst sagt, dass sie nicht reich sei, aber ein festes Einkommen habe und ihr Urlaubsgeld gern abgibt.
Die Freunde, die für ein Pflegeheim im Sauerland Straßenkonzerte für die Bewohner veranstalten, der Pensionsbesitzer aus Hamburg, der nun mit einem Oldtimer-Bus durch die Stadt fährt und mit Musik für gute Laune und positive Energie sorgt.
„Wer, wenn nicht wir“ heißt das Projekt auf dem Hamburger Kiez. Daniel Schmidt, Betreiber der Kneipe „Elbschlosskeller“ hat ebenfalls eine Entscheidung getroffen, die zeigt, wer er (nicht nur) in dieser Krise ist: Er und sein Team aus vielen großartigen ehrenamtlichen Helfern haben eine private Initiative auf die Beine gestellt und helfen Obdachlosen – Essen wird ausgegeben, Spenden und Hygieneartikel verteilt. Auch einen Lieferservice dafür haben sie organisiert, und einen Transport zum St. Pauli Schwimmbad, welches die Türen für Bedürftige öffnet, damit sie duschen können. Dieser kurze Film zeigt, worum es geht: Wer, wenn nicht wir – um die Entscheidung, die man auch dann noch fällen kann, wenn man selbst von der Krise betroffen ist und nicht in Geld schwimmt.
Prominentes Beispiel: Auch Starkoch Tim Mälzer (Bullerei, Hamburg), der selbst seine Restaurants schließen musste, hat sich bei der Initiative „Kochen für Helden“ eingeklinkt und kocht seit Wochen mit seinem Team tausende von Essen für Menschen in Funktionsberufen. Die ewigen Nörgler höre ich sagen: „Na, der kann sich das auch leisten.“ Ja, vielleicht kann er das eher als der Cafébesitzer um die Ecke. Aber auch er hat sich für etwas entschieden.
Vielleicht ist das nicht bei jedem ein bewusster gedanklicher Prozess – vielleicht „ist er so einfach“. Umso mehr zeigt auch er damit, wer er ist. Er hat sich dafür entschieden, sich nicht nur um sich zu kümmern, sondern etwas zu bewegen, etwas Gutes zu tun. Natürlich ist das auch gut fürs Image – das darf es auch sein.
Ein Eugen Block hat sich für den anderen Weg entschieden: Auch er führt sein Block-House-Unternehmen und seine Mitarbeiter durch die Krise, ja. Doch er hat sich nicht dafür entschieden, darüber hinaus etwas Gutes zu dieser Situation beizutragen, zu gucken, ob er teilen und helfen kann. Er kommt in die Schlagzeilen, weil er wettert – über Panikmache und leere Krankenhäuser, und dass es ihm nicht ausmache, drei Tage früher zu sterben, er redet vom liebenden Gott und davon, dass er seine Verluste bei der Regierung einklagen werde. Seine Entscheidung. So möchte er sein in dieser Krise: entschlossen, zornig, Ansprüche einklagend.
Wir können im Kleinen viel dazu beitragen, dass – bei allen Unterschieden – tatsächlich ein Gefühl von Einheit entstehen kann, nämlich bei der Gemeinsamkeit, dass wir Menschen sind, die empathisch sein können, die denen die Hand reichen, die gerade noch mehr Hilfe brauchen, als wir selbst. Dass wir abgeben und teilen anstatt uns ängstlich an das zu klammern, was wir besitzen. Das wir uns bewusst dafür entscheiden, wer wir in dieser Krise sein wollen.