Ich mag ihn immer noch. Er ist der einzige, für den ich jemals hysterisch geschwärmt habe: Shakin‘ Stevens.
Sechs Jahre alt war ich, als ich die erste Kassette bekam. Mit großem Kopfhörer auf kleinen Ohren hockte ich den halben heiligen Abend vor der Stereoanlage und lauschte hingebungsvoll dem kicksenden Engländer, kritzelte die Kassettenhülle mit meinem Namen voll, siehe Foto. Von da an ging nichts mehr ohne Shaky. Jede Bravo oder Popcorn, in der Shaky war, betitelte ich als lebensnotwendig, gern auch lauthals und mit stampfenden Füßen – meine Mutter hatte es nicht leicht. Wenn Thomas Gottschalk eine seiner Popshows moderierte, kämpften die Müdigkeit und ich ein verbittertes Gefecht durch Auftritte von Kim Wilde und Adam Ant hindurch, bis mein Held in weißen Lederslippern endlich auf dem Bildschirm erschien. Davor hockend, in Nachthemd und Wolldecke, wäre ich am liebsten in den Fernseher hineingekrochen, um ihm nahe zu sein. Wenn er „Oh Julie“ sang, fühlte ich mich angesprochen, doch mit „A Rockin‘ Good Way“ stellte er meine Solidarität auf eine harte Probe – versetzte mir seine Duettpartnerin, Bonnie Tyler, doch einen kleinen aber spürbaren Stich. Eine direkte Konkurrenz konnte ich zwar nicht erkennen, und dennoch machte ich in diesem Moment meine erste oberflächliche Bekanntschaft mit der Eifersucht.
Das Kinderzimmer eines Shaky-Fans sah übrigens genauso furchterregend aus, wie man es sich schlimmstenfalls vorstellt: Kein Zentimeter Tapete war noch zwischen den Postern zu erahnen, eine rosa Shaky-Fahne zierte die Wand, der Bravo-Starschnitt in Lebensgröße, Cola-Knibbelbilder und Leitz-Ordner mit Zeitungsausschnitten. Und meine Shaky-Jeansjacke! Als es im Schreibwarenladen am Bahnhof Kugelschreiber mit Autogrammkarten gab, auf denen angeblich die originale Unterschrift von Shaky war, dachte ich nur: „Toll, wieviele Karten der unterschrieben hat. Und das hier ist ja nur das eine Geschäft!!“ Beseelt und stolz trug ich die Autogrammkarte nach Hause und meine Mutter war so nett, mir die Illusion nicht zu nehmen. Zu der Zeit glaubte ich auch noch an den Weihnachtsmann.
Was mich so berührte, kann ich bis heute nicht erklären, nur soviel steht fest: es sitzt tief! Wenn ich „I’ll Be Satisfied“ oder „You Drive Me Crazy“ höre, kann ich noch immer jede Textzeile mitsingen, begleitet von einem leichten Zucken in den Füßen. Ein wichtiges Ereignis fehlte stets in meiner jahrelangen Begeisterung: ein Livekonzert. Von Sechs bis Zwölf durfte ich noch nicht auf Konzerte gehen, in den Neunzigern verschwand er von den Bühnen, doch Ende 2004 dann die Ankündigung auf der neuen Shakin-Stevens-Website: 2005 – Konzerte in England! Ich habe etwa drei Sekunden überlegt, zwei Tage Urlaub genommen, ein paar mal geklickt, ein Ticket bestellt, den Flug gebucht – und so flog ich am 6. April 2005, vier Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag, nach London.
Der 6. April 2005, 20 Uhr: Ein ausverkauftes Sheperds-Bush-Empire, überwiegend Engländern, junge, ältere, schräge und normale. Das Licht geht aus, Spots an und die Band legt los. Um mich herum reißt das Publikum die Arme in die Luft und schreit:„Shaaaakyyy!“, ich stehe dazwischen und weiß nicht so recht wohin mit mir. Und dann betritt er die Bühne. Sichtbar gealtert, im Anzug und einem durchaus diskutablem Hemd, greift er sich den Mikrofonständer, schüttelt ein bisschen die Beine und fängt an zu singen. Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen und meinem Nacken aus, ein paar Tränen schießen mir in die Augen, ich denke: „Peinlich.“, und dann: „Aber egal, also los!!!“. Ich reiße die Arme hoch und stimme in die „Shaky!!“-Rufe mit ein, bin noch einmal sechs Jahre alt und einfach nur glücklich. Weitere London-Fotos
Wenn ich sage: „Es war großartige – er war großartig!“, bekomme ich oft ein mitleidiges oder überhebliches Lächeln geschenkt und im schlechtesten Fall beginnen herablassende musikalische Grundsatzdiskussionen. Schade, denn darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass Shakin‘ Stevens Musikgeschichte geschrieben hätte wie die Beatles. Er hat ein Stück meiner persönlichen Geschichte geschrieben. Und er hatte tatsächlich beachtlichen Erfolg, siehe Wikipedia , was mir allerdings nur wichtig war, damit es genug Zeitungsausschnitte gab, die ich sammeln konnte.
Nun stehen wieder ein paar England-Auftritte an. Ein Comeback in dem Sinne wird es nicht geben, der Rock’n’Roller geht inzwischen auf die Sechzig zu. Und doch ist es schön, dass er auf die Bühne zurückgekehrt ist – und mich das nachholen ließ, wovon ich vor 24 Jahren geträumt habe.