Und mir reißt die Hutschnur. So langsam wird es eng. Die Frau rechts von mir rückt näher und näher. Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen und mit einem komischen Funkeln in den Augen und einem Luftholen rattert sie los: Ob ich denn schon einen Diabetistest gemacht habe, das müsste ich doch unbedingt machen, sie hatte ja Schwangerschaftsdiabetis und-das-war-ja-gar-nicht- witzig-sie-konnte-ja-kaum-noch-etwas-essen-selbst-eine-Scheibe-Brot-war-eine-zuviel-und-sie-hat-sogar-abgenommen-in-den-letzten-Wochen.
Ich nicke mitleidig und zucke mit den Schultern, „Tja, das ist ja übel …“. Kaum davon erholt, schnattert es von links: „Weißt du denn schon in welches Krankenhaus du gehst?“ „Also ähm, ich …“ Und dann gibt die engagierte Fremde ihr Fachwissen in einem Vortrag über Dammschnittraten, Dammrisse, Saugglocken und Zangengeburten zum Besten. Meine Bionade rutscht ein Stück die Speiseröhre rauf. Als sie über die Horrorentbindung und den Beinahetod ihrer Cousine ansetzt, entschuldige ich mich Richtung Klo.
Menschen mit Krankheiten bekommen etwas, was sie noch weniger gebrauchen können, als einen zusätzlichen Bandscheibenvorfall: viele Geschichten von anderen Menschen mit Krankheiten. Schwangere scheinen bei anderen Schwangeren, Müttern oder einfach nur taktlosen Klugscheissern denselben Reflex auszulösen.
Da wird einem von Anfang an gepredigt: Du bist schwanger, nicht krank – und ich denke: Danke, ich weiß das. Aber warum die anderen nicht? Nach einem anfänglich verzückten „Oooh, wie schön – schwanger!“, und Routinefragen wie: „Welcher Monat, musst du kotzen, was wird es denn?“, geht es ans Eingemachte.
Da gibt es ein paar nette Anekdoten von Lähmungen durch falsch angesetzte Rückenmarksspritze hier, kleine Geschichten über knappe Kaiserschnitten dort, bis hin zu Abhandlungen über Schlafentzug, chronischem Zeitmangel und fettigen Haaren. Gekrönt von bedeutungsschweren Blicken, die sagen „Einfach ist das nicht.“ Ach wirklich? Ich dachte, ein Kind auf die Welt zu pressen, wäre entspannender als ne Thalassobehandlung. Und ich dachte auch, dass unser Baby mit zwei Wochen acht Stunden durchschläft, mit einem halben Jahr selbst aufs Klo geht und mit fünf meine Steuererklärung macht.
Mann – ich bin doch nicht blind und taub! Jeder, der sich mit dem Thema Kinder beschäftigt, weiß um den Stress, die Augenringe und die monothematischen Gespräche. Und natürlich gibt es tausend gute Gründe gegen Kinder. Es gibt aber auch tausend gute Gründe für Kinder. Aber einer Schwangeren, also wenn das Kind im wahrsten Sinne bereits in den Brunnen gefallen ist, von Horrorszenarien zu berichten, ist meines Erachtens völlig überflüssig.
Und dennoch möchten viele Menschen Schlechtes mitteilen, statt Gutes. Ist das spannender? Sind das Wichtigtuer? Oder haben sie tatsächlich nur Schlechtes zu berichten? Aber warum erzählen sie es dann ausgerechnet mir? Würde man einem Herzpatienten vor der Operation auch von Klappenversagen und Thrombosen erzählen?
Auch immer wieder gern ins Rennen geworfen – ein hämisches Lachen und den Satz: „Na, damit ist es dann ja vorbei.“ Klar wird sich alles verändern und erstmal einen Schritt zurücktreten müssen – Interessen, Hobbys, Freunde. Doch ich behaupte: es gibt einfach viele, denen das Pflegen von Interessen und Freunden schon vorher schwer gefallen ist. Die warten nur darauf, sich mit einem Seufzer der Erleichterung in dieses wattebequeme Klischee zu kuscheln und sich nie wieder mehr als zweihundert Meter vor die Haustür zu bewegen. Geht ja nicht – die Kinder! Wer sich schon immer für andere und nicht nur für sich selbst interessiert hat, wird auch einen Weg finden, weiterhin Freunde zu haben.
Und dann gibt es da zum Glück noch die anderen. Die, die selber Kinder haben, die natürlich gestresst sind, denen manche Dinge auch ab und an zuviel werden. Und die einem trotzdem sagen: „Wir wollen keinen Tag mit unseren Kindern mehr missen.“ Danke. Auch mal schön zu hören.