40 is the new 20?

„Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“ Dunkle längere Haare, coole Klamotten – der Typ, der mich in der Alsterdorfer Straße anspricht, sieht gar nicht so jung aus. Ich mache den Mund auf, wieder zu, gucke ihn noch mal an, mir gehen viele Sätze durch den Kopf. Nur nicht die Uhrzeit. Hat der mich gerade gesiezt? Nun guckt er etwas irritiert, weil ich ihn anstarre, als hätte er einen Hund getreten. Um ihm keine Angst zu machen, antworte ich schnell: „Klar, es ist viertel nach drei“.

Als ich beim Friseur sitze, ist mein Wunsch nach „blonder, kürzer, mal was Auffälligeres“ futsch. Ich möchte mich auf die Suche nach grauen Strähnen begeben, die vielleicht eine Tönung nötig hätten, fast möchte ich um einen Haarschnitt „meinem Alter entsprechend“ bitten. Aber was genau wäre das dann? Pottschnitt? Glatze, damit die Perücken gut sitzen? Durchgestufter Bob? Mal „was Praktisches“?
Wie sehr müssen wir uns nach unserem Alter richten – und womit? Mit unserem Benehmen, mit unseren Klamotten, Frisuren? Mit dem, was uns interessiert oder was wir in unserer Freizeit machen? Wie viel wir trinken, wie viel Unsinn wir reden, wie laut wir lachen? Muss man ab einem bestimmten Alter etwas auf eine bestimmte Art tun oder lassen?

Ich weiß noch genau, wie ich mit 19 in meiner ersten Wohnung saß und überlegte, wie ich wohl mit 30 aussehen werde. 30 war uralt. Erwachsen. Der Spaß vorbei. Also habe ich die Zeit bis dahin so viele Partys gefeiert, war auf so vielen Konzerten und habe mich so oft verliebt – es hätte für doppelt so viele Jahre gereicht. Und was kam dann? Kein lauter Gong. Keine „Der Spaß ist jetzt vorbei“-Durchsage. Also hat man den Dreißigsten laut gefeiert und einfach weitergemacht. Viel gearbeitet, geheiratet, Kinder bekommen, und ist dadurch hier und da ganz von selbst organisierter, verantwortungsbewusster und vorausschauender geworden. Aber viele Freunde, die um die 40 sind, die sagen alle das Gleiche: Ich fühle mich gar nicht „so“. Neulich las ich in der Neon. Bei einer Umfrage war eine Frau abgebildet, das Alter in Klammern dahinter. Ich ordnete sie gleich in meinen gefühlten Altersbereich ein. Oder besser: mich in ihren. Sie war 28. Pfff, die zehn Jahre.

Eine freundlich gemeinte Erdung mussten eine paar Männer um die 40 erleben, die aus Spaß für einen Junggesellenabschied zum SonneMondSterne-Festival fuhren. Sie fühlten sich jung, dazugehörig, wahrscheinlich dachten sie in ihrem Glücks- und Alkoholrausch „Na also, geht doch.“ Bis ein junger Typ sie ansprach und meinte, er fände es total cool, dass sie in ihrem Alter noch so Gas geben würden.

Am Wochenende ging ich eine Treppe hinunter in ein Kellergewölbe und  stand in der Dildofabrik. Aus den Boxen klang „I Follow Rivers“,  und zwischen Wänden, wo früher Dildos und Gummipuppen hergestellt wurden, tanzten wir. Alle waren da, einige seit Jahren nicht gesehen – eigentlich hatte sich keiner verändert. Auch die Leute drum herum – wie immer, wie früher: Rausgebrezelte Frauen in hohen Stiefeln und tiefen Ausschnitten, szenige Schlurftypen, die sich in der Ecke nen Joint drehten oder mit Bart und Bier am Tresen lehnten. Zwei Freundinnen sagten an diesem Abend unabhängig von einander: „Wenn ich mich so umgucke … ich fühle mich gar nicht so alt“. Lag vielleicht daran, dass keine faltenfreien Supergranaten als Vergleichsmodelle herumliefen. Und ich freute mich. Klar kann man noch Partys feiern wie mit 20 oder 30. Und spätestens als sich die Tanzfläche zu Kate Bushs „Running Up That Hill“ füllte, war klar – das hier ist keine Twen-Party. Dass sich in meinen Augen niemand verändert hat, liegt vielleicht daran, dass wir gemeinsam alt werden.
Aber ist es nun peinlich, sich mit 40 zu betrinken, rumzulabern, zu tanzen und laut mitzusingen? Nö. Guckt doch keiner. Und selbst wenn. Schauspieler Wotan Wilke Möhring sagte mal: „Mit jedem Tag des Lebens vergrößert sich der Kreis derjenigen, die mich am Arsch lecken können.“ Definitiv ein Vorteil des Älterwerdens – man betrachtet einige Dinge gelassener.

Schauen wir der Wahrheit ins schlaffe Gesicht: Wir können uns soviel trimmen wie wir wollen, Cremes um die Augen spachteln oder an unseren Oberschenkeln herummassieren bis die Bürste bricht – wir sind nicht mehr in den Zwanzigern. Tut aber gar nicht weh. Denn eigentlich sind nur ein paar Falten, Verpflichtungen, Kilos oder Kinder hinzugekommen  – und wir hören einfach nicht auf. Wir gehen immer noch auf Festivals, feiern Partys, albern mit Freunden herum, trinken, tanzen – und lachen so laut wir können. Unsere Vorbildfunktion dürfen wir dabei natürlich nicht vergessen – wir müssen den Zwanzigjährigen Hoffnung geben, dass man als Vierziger immer noch saucool sein kann. Meine Hoffnung ist, dass wir uns am Sechzigsten nicht zum Kaffeekränzchen treffen. Dann lieber in der Dildofabrik.

Dinobeine & DHL

Eben noch schwanger, schon gehen die Lütten in den Kindergarten und in die Schule. Als ich meiner Tochter heute morgen die Haare bürstete, kam mir mal wieder der Gedanke: Wie groß sie schon ist!
Gern denke ich an die schönen Seiten meiner Schwangerschaften zurück: das erste Anklopfen, die Ultraschallbilder, die Freude auf den Lütten und die Kleine. Und dann sind da noch die Erinnerungen an: Wasserbeine (O-Ton: „Die nächste Hauptrolle in Jurassic Park ist Deine!“), Kreislaufprobleme, Übelkeit, Klamottenschwund, geschwollene, schmerzende Arme, Stressmomente beim Arzt, Kurzatmigkeit, Fressattacken.
Na klar ist eine Schwangerschaft ein Wunder, wundervoll, wunderprächtig. Aber im Gegensatz zu den Frauen, die mir in jeder Zeitschrift entgegenjubeln „Eine Schwangerschaft ist das Tollste!!“, muss ich sagen: Hätte man mir das Ganze per DHL-Versand angeboten – ich hätte die Portokosten übernommen.
Vermessen klingt es vielleicht, und es ist eine subjektive Sicht der Dinge – viele Freundinnen schwebten regelrecht durch diese Monate. Doch ich möchte auch mal maulen dürfen: Wie gut, dass ich kein Elefant bin. 22 endlose Monate wäre ich dann schwanger. Als Goldhamster wäre ich in praktischen 12 Tagen mit dem Thema durch, dafür müsste ich den ganzen Tag in einem beknackten Plastikrad im Kreis laufen. Auch nicht besser.

Und dann die flüchtigen Begegnungen, die einem ständig den Bauch tätscheln wollten, einem jede noch so gnadenlose Geschichte zwischen Tür und Angel ins Ohr babbeln mussten – puh. Darüber habe ich damals für das U_mag mal einen kurzen Artikel geschrieben, zum Vergrößern bitte klicken:


Im Herzen Bud Spencer

„Aber Mama, ich habe ihm schon gesagt, dass er aufhören soll, mich dauernd zu schubsen.“ Okay – 1. weggehen, 2. Hand entgegenhalten und laut „Nein“ sagen, 3. der Kindergärtnerin sagen, dass B. nicht aufhört zu schubsen – die drei Sachen sind also alle abgehakt? „Dann schubs ihn zurück. Und zwar so, dass er es nicht noch einmal macht.“ „Aber Mama, das darf ich nicht.“ Ich sitze neben meinem Fünfjährigen und komme mir vor wie Drei. Merke, wie meine Lippen trotzig verkniffen sind, die Schultern etwas hochgezogen, die Fäuste geballt. Aber hinter der Drei steht bei mir noch ne Sieben. Und Pädagogik? Keine Urkunde. Hamburger Durchschnittsmutter, hormongeschüttelt, dem Adrenalin ausgeliefert. „Emotional“, sagen meine Freunde, „aufgedreht“, wahrscheinlich die, die lieber nicht mit mir befreundet sind.

Großartig finde ich es, dass mein Kind zu einem gewaltlosen Miteinander erzogen wird – von öffentlicher Seite – und Zuhause. Schon früh konnten Sohn und Tochter mit dem Satz „Nur dumme Menschen hauen“ etwas anfangen. Wir können streiten, aber wir hauen nicht. Meine Erziehung!

Und in den nächsten fünfzehn Jahren werde ich den Teufel tun, meinem Sohn zu erzählen, dass ich den Wunsch, jemandem so richtig eine zu verpassen, so richtig gut verstehen kann.  Dass ich mir manchmal wünsche, 1,90 Meter zu sein, männlich, mit Bizeps, Trizeps und sonstigen Zeps.

Ich habe mich noch nie richtig geprügelt, ich finde das ordinär, kleingeistig und unattraktiv. Doch ich war schon immer mit zwei sich gegenseitig sehr aufschaukelnden Eigenschaften ausgestattet: einem gnadenlosen Gerechtigkeitssinn und einem aufbrausenden Temperament.

Bereits in der Grundschule bereitete mir diese Mischung anstrengende Stunden. An einem fürchterlichen Wochentag schaffte ich es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette, die Hose war nass. Es war mir zu peinlich, zum Sekretariat zu gehen, um meine Mutter anzurufen, also versteckte ich meinen Sportbeutel, band mir meine Jeansjacke um die Hüften und setzte mich in der Sportstunde auf die Bank.
Mitschülerin M. hatte Wind davon bekommen, rannte an der Bank vorbei und zischte mir zu: „Du stinkst!“ Noch heute fühle ich die Hitze in meine Wangen steigen und die Tränen der Wut und Scham, die mir in die Augen schossen. Mir war danach, ihr hinterherzulaufen, um ihr das Springseil um die Ohren zu hauen.

Vor der nächsten Sportstunde entschied ich mich stattdessen dafür, ihr in der Umkleidekabine vor allen die Unterhose runter zu ziehen. Hatte auch einen guten Effekt.
Sie war fuchsteufelssauer, alle schrien,  und der Klassenlehrer schrieb mal wieder eine Notiz an meine Eltern. Das war es mir wert.
Es hätte mir nicht gereicht, ihr diplomatisch zu sagen „Ich möchte nicht, dass Du so gemein zu mir bist.“ Ich wollte es spürbar machen.

Kennt das nicht fast jeder? So einen Moment, wo jemand vor Dir steht, mit dem reden einfach nicht mehr angesagt ist? Ob das eine Lösung ist? Nein. Selbstbeherrschung ist wichtig, Situationen einschätzen ebenfalls: Mit Zwanzig schlenderte ich mit einem Freund in einer Samstagnacht über die Reeperbahn, ein großer Pulk junger Männer kam uns entgegen, ausweichen war zu spät, also mittendurch. Ich wusste genau, wer von denen mir im Vorbeigehen zwischen die Beine gegriffen hatte. Wonach mir war, möchte ich hier nicht geschrieben sehen – doch ich beherrschte mich. Etwa zwölf Proleten, alle angetrunken und enthemmt, und  meine Begleitung hätte wahrscheinlich kein Nasenbein mehr, hätte ich meinem Impuls nachgegeben.
„Leg Dich nicht an, steck so etwas weg“, hallte mir die Stimme meiner Mama im Kopf, die immer Angst hatte, dass ich meinen Mund im falschen Moment zu weit aufmache, im falschen Moment zurückremple oder mit den falschen Leute eine Diskussion anfange.

Gewalt ist keine Lösung. Amen. Und trotzdem bereue ich es bis heute nicht, meiner Mitschülerin S. auf den Arm geboxt zu haben. Die Größte in der Klasse war sie, ich die Kleinste. Meine beste Freundin C. war gerade dabei, die Faschingsdeko aufzuhängen, als S. sie mit den Worten „Ich mach das!“ grob von der Leiter schubste. Ich hatte schon Respekt davor, dass sie mich schnappt, doch für diese Runde war ich schneller.

Und heute? Ich schaue lieber zu, wie die Klitschkos jemanden vermöbeln. Älter und weiser bin ich natürlich. Meine Kinder dürfen nicht um sich schlagen. Aber sie sollen auch keine Opfer sein. Das ist widersprüchlich? Nicht immer.

Und ich? Mehr als 1,60 Meter sind nicht draus geworden. Aber ordentlich Bizeps vom Kindertragen und genügend Grips, um keinen zu hauen. Ehrlich nicht. Mach Dir keine Sorgen, Mama.

Mir schwant Böses

Bei der Lektüre des spiegel.de-Artikels rutschen mir die Spaghetti Napoli eine Etage nach oben: Heribert Schwan plant ein Enthüllungsbuch über Helmut Kohl. Er habe 630 Stunden unveröffentlichtes Tonmaterial. Eine beeindruckende journalistische Leistung – als Ghostwriter der Memoiren von Kohl und acht Jahre langem Zugang zu jedem Teppichfussel, Einblick in jeden verschmierten Ketchupflaschenhals, jedem Einkaufszettel, Spendenbeleg und jedem Satz der Stasiakte.
Drei Bücher zaubert er aus dem interessanten und juristisch korrekten Material, die brisanten Details lassen Kohl und Schwan im Rohmaterial ruhen.

Und fünf Jahre später, an einem schönen Sonntagabend, sitzt Schwan bei Tatort und Abendbrot, kaut auf ner rohen Karotte und ihm fällt siedenheiß ein: „Mensch!! Ich hab ja noch ganz viele tolle Informationen über den Kohl. Und für die nächsten Monate noch kein neues Projekt – das passt ja super.“ ??
Vielleicht war er zu sehr mit dem Enthüllungsbuch über Hannelore Kohl beschäftigt, welches er 2011 veröffentlichte … Oh, auch ein Enthüllungsbuch. Das ist ja ein Zufall.

„Einen Rechtsstreit mit dem Altkanzler fürchte er nicht, da er nie eine Vereinbarung unterschrieben habe, die ihn zur Verschwiegenheit verpflichte.“ (spiegel.de)
Wie kann ich mir das vorstellen? Helmut Kohl engagiert Schwan, um für ihn seine Memoiren zu schreiben. Schwan zeichnet alles auf, und Kohl vergisst zwischen öffentlichen Verpflichtungen und wöchentlicher Autowäsche, jegliche Rechtsfragen zu klären und vertraglich festzuhalten? Stocknaiv wäre er. Eine Eigenschaft, die ich mit diesem Mann nicht in Verbindung bringe. Und welcher Charakter verbirgt sich hinter Schwan? Hinterhältig? Geltungssüchtig? Was macht er eigentlich gerade? Ach ja, er liest seine Hannelore-Enthüllungen vor, läuft gut für ihn. Und – stimmt, er ist in Rente. Na, da ist es doch schön, wenn man ein Hobby hat.

Ich bin kein Kohlfan und ich bin kein Schwanenhasser, aber ich mag es, wenn jemand mit den Begriffen „Menschlichkeit“ und „Anstand“ etwas anfangen kann. Leid tut mir Kohl nicht, seinem Beichtvater qualmen bestimmt auch die Ohren –  und Personen des öffentlichen Interesses müssen damit rechnen, das Messer von hinten durchs Auge zu bekommen. Doch das, was Schwan „eigenen Exzerpte (…) meine geistige Leistung“ (spiegel.de) nennt, ist widerlich. Wäre es das reine Interesse, Licht in die Spendendaffäre zu bringen, hätte er seine Informationen der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Aber nicht in Form eines gebundenen Buches.

Mein Kind bin ich

„Meine Kinder sind die Besten. Und was sie schon alles können! Natürlich kann der Kleine schon Fahrrad fahren. Ja, NATÜRLICH ohne Stützräder. Ach, Deine kann das noch nicht? Wann wird sie nochmal Fünf? Ah ja … Aber nein, mein Lächeln ist nicht herablassend, eher mitleidig.

Ich bin wirklich sehr darum bemüht, dass alles auf dem richtigen Entwicklungsstand ist. Müsste ein Kind mit vier Jahren eigentlich schon Plusrechnen können? Mh. Lese ich nachher mal nach. Aber beim Sprechen – da sind beide ja wirklich talentiert. Schon viel früher als andere konnten sie Vierwortsätze bilden.
Wie bitte? Ob er nachts schon trocken ist? Phhhhh. Das ging wie von selbst. Durchgeschlafen haben beide mit acht Wochen, und Brei essen – war auch kein Problem.

Überhaupt ist bei uns alles total entspannt.

ICH bin total entspannt.

Nur jetzt ist die Große schon seit vier Wochen in der ersten Klasse – sollten sie nicht bald mal mit dem Lernen anfangen? Wir haben sie extra so früh eingeschult, nun sollte man doch nicht so viel Zeit verlieren.
Der Vorteil, den sie später als junger Berufseinsteiger hat, der ist schließlich nicht von der Hand zu weisen. Ein Jahr früher eingeschult bedeutet ein Jahr früher im Job. Bedeutet ein Jahr früher die ersten Hundertfünfzigtausend verdienen.

Leistungsdruck? Aber nein. Ich schaue nur, dass sich meine Kinder in der Gewinnerzone aufhalten (und ich stehe dort direkt neben ihnen). „Endstück“ hat meine Tochter heute schon geschrieben. Ist das nicht toll? Ich bin so stolz! Und eigentlich langweilt sie sich ja sehr in der 1. Klasse, sie ist völlig unterfordert.
Manchmal habe ich den Verdacht, sie könnte hochbegabt sein.

Und sie ist ja schon SO selbstständig. Überhaupt finde ich diese Bemutterung von Grundschulkindern wirklich überflüssig, sie waren lange genug klein. Überforderung? Ich bitte Dich! Meine Kinder sind intelligent genug (Deine anscheinend nicht). Die sind schon SO vernünftig. Was sagst Du? Kinder dürfen und sollen unvernünftig sein? Ist das nicht etwas verklärt?

Na ja, es gibt natürlich auch Grenzen mit den eigenen Entscheidungen. Das Abi sollten sie schon machen, eine Stadtteilschule wäre für unsere Familie wirklich nicht akzeptabel. Nein, ich habe nicht studiert. Aber das ist doch ganz was anderes.

Ach was! Ich profiliere mich doch nicht über die Leistung meiner Kinder. Das habe ich gar nicht nötig.Wie bitte? Ich poliere auf ihre Kosten mein angeschrammtes Selbstbewusstsein?
Ts. Du bist ja nur neidisch.“

Hacke Couture

Noch einen Tag klappern in New York die High Heels auf Hochtouren, die letzten 24 Stunden der Fashion Week haben begonnen! Immer wieder schaue ich bewundernd nach unten: schwindelerregend hohe Absätze – bis die Füße und schwindelerregend lange Beine ins Bild kommen.

Als bekennender Castingshowjunkie weiß ich um das Geheimnis dieser Kunst. Der Kunst, auf fünfzehn Zentimetern zu balancieren ohne sich dabei einen Trümmerbruch im Knöchel zuzuziehen: Heidi und ihre „Mädchen“ laufen und laufen, dass die Zehen puckern. Das kann man lernen. Kann man? Und was ist, wenn man anatomisch dafür einfach nicht zusammengesteckt ist? Hohe Schuhe habe ich, für meine Verhältnisse geradezu gewagte Modelle: schwarze, hochhackige Wildlederstiefel aus Mailand, graue Schlangenpumps aus Sulingen, schwarze schlichte Pumps von Görtz. Ich finde, ich sehe großartig darin aus. Gehen kann ich damit einigermaßen ohne nach Bachstelze mit Hühneraugen auszusehen.
Kennt Ihr das? Man steht mit dem Auto an einer roten Ampel, eine Frau überquert die Straße – Po leicht nach hinten gestreckt, Oberkörper etwas zu gerade nach vorne gekippt, konzentrierter Gesichtsausdruck. Entweder muss sie dringend zur Toilette – oder sie hat hohe Absätze unter den Füßen.

Ich sehe beim Gehen auf hohen Schuhen also nicht verkrampft aus – geteerter Grund, gerader Weg und trockene Straße vorausgesetzt. Aber: Ich halte es maximal eine Stunde aus. Dann macht mir meine ganz persönliche Konstitution unerbittlich einen Strich durchs Outfit. Entsetzt stelle ich fest: Meine Füße sehen wirklich seltsam aus. Bis vor Kurzem steckte ich sie einfach in Schuhe, und dachte nie darüber nach, ob sie hübsch sind. Und nun muss ich feststellen: Sind sie nicht. Nicht nur sehr platt und viereckig, mit einem hohen Spann und kurzen Zehen – sie sind auch kein bisschen High-Heels-tauglich. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen – ich mag sie trotzdem. Meine Füße machen annähernd jede Sportart mit, können kilometerweit laufen, und sie stehen sehr stabil auf dem Boden, alle beide. Aber für hohe Schuhe sind sie einfach nicht geschaffen. Willst Du mir den Tag versauen, schick mich mit der Aufgabe los, hohe, zierliche Schuhe zu kaufen. Willst Du einer Verkäuferin den Tag versauen, lass mich bei ihr hohe, zierliche Schuhe anprobieren. Meine Füße können Slingpumps zerstören.

Andere können nicht ohne. Wer ordinäre Lederpuschen für seinen Nachwuchs stillos findet, kann bereits die Kleinsten in Kuschelheels stecken, wer sich sagt „Laufen in Sportschuhen – das kann jeder“, sollte sich zum High-Heels-Run der High Heel School Hamburg anmelden. Selbst die Volkshochschule Stuttgart hat den Willen zum Stöckeln erkannt und bietet High-Heels-Kurse an. Faszinierend.

Gern würde ich sagen: Pfff, High Heels – braucht kein Mensch. Man denke an erbärmliche Promifotos von strauchelnden stürzenden Frauen, Models, die auf dem Laufsteg von ihren Wolkenkratzern ins Bodenlose fallen, ich kannte mal eine Frau, deren Archillessehen vom ständigen High Heels-tragen so verkürzt waren, dass sie barfuß mit der Hacke nicht mehr auf den Boden runterkam. Die Tochter eines Bankers aus New York stolperte vor ein paar Wochen auf ihren High Heels in den Tod. Perfekte Kontra-Argumente. Doch ich wäre nur neidisch. Neidisch, weil man mich schon als Baby in Frotteeabsätze hätte stecken können – wäre ich dann in die hohen Hacken quasi reingewachsen? Nein. Ich könnte drei Volkshochschulkurse absolvieren – es würde nichts nützen. Schmerzhaft beleidigt sind meine Füße, wenn man sie höher als 1,5 Zentimeter über den Boden erhebt. Doch bei der letzten Feier hielt ich fünf Stunden in den schlichten schwarzen Pumps durch! Und brauchte zwei Tage bis das Taubheitsgefühl in drei Zehen nachließ. Aber ich sah großartig aus.

Hiebe mit Liebe

Klitschko vs. Charr, 22:48 Uhr, die Ehefrau von Klitschko singt „The Power of Love“. Tolle Stimme. Aber was kommt gleich? Statt Michael Buffer ruft ihn Kai Pflaume in den Ring? Linda de Mol als Nummerngirl?
Oder wie wäre es mit einer runden Familienvorstellung – die Klitschko-Kinder spielen was auf der Blockflöte vor?

Witzig, Witziger, Wolke!

Wenn ich Wolke Hegenbarth hieße, würde ich mich in Grund und Boden schämen. Nicht, weil ich einen komischen Namen hätte, sondern weil ich dick und fett von sämtlichen Bushaltestellenplakaten herunterschauen würde. Nicht, weil ich dick wäre – sondern weil ich eine gertenschlanke, mittelmäßige Schauspielerin wäre, die wunderschöne Kosmetikwerbung macht, und die sich in einen Fatsuit stopfen lässt, um respektlose, demütigende Promotion für eine Serie auf Sat.1 zu machen.
Die Idee mit dem Fatsuit ist so abgelutscht, dass mir vor lauter Gähnen der Kiefer knirscht, die Idee „Zwei Frauen, die sich nicht mögen, tauschen über Nacht durch ein Wunder die Körper“ so vertrocknet, dass die Linde knackt. In diesem Fall sind sie nicht jung und alt sondern dick und dünn.

Und so sieht man Wolke in den Wolken als übergewichtige Frau, inszeniert als King Kong, die durch die Stadt stampft, in einer Hand „die weiße Frau“ – sich selbst in dünn. Die Message von „Hihi“-Hegenbarth: „Das ist die aufwändigste Rolle, die ich je hatte“. Pseudomoralische Reden – dafür ist hier kein Platz, wenn Schauspieler mit betroffenem Blick weismachen wollen, dass sie jetzt wüssten, wie schwer es dicke Menschen haben, wie viel mehr Verständnis sie jetzt hätten – Bullshit.
Aber was soll hier die Message sein?
„Guckt mal, wie scheiße Wolke dick aussieht, und wie großartig in Größe 36?“ – wie interessant!
„Schaut mal, eine Dicke als King Kong“ – wie lustig!
„Ihr könnt ruhig über Dicke lachen, Wolke und Sat.1 tun es doch auch!“ – ach, na dann!
Zeitgleich mit der Serienpromo engagiert sich Wolke als sozialer Mensch – sie übernimmt die Schirmherrschaft für eine Knochenmarkstypisierung, um einem leukämiekranken jungen Mann zu helfen. Wie nett von Dir, Wolke! Bist Du auch so nett, und hältst dem dicken Mädchen, das morgens am Bus neben Deinem Plakat von Mitschülern ausgelacht wurde, die Stirn beim Kotzen?

Als Stefan Raab sie bei einem Fatsuit-Auftritt in TV Total nach ihrer Maske fragt und Hegenbarth von der Firma schwärmt, die dafür zuständig ist, schwafelt sie selbstgefällig menschenfreundliche Dinge wie: „Ja, die machen auch Monster … und Menschen wie mich.“

In einem Interview auf Welt Online äußert sich Hegenbarth 2004 über die Vorbildfunktion ihrer Serienfigur aus „Mein Leben & Ich“:
„Alex rennt nicht jedem Trend hinterher. Sie macht ihr eigenes Ding. Und ist deshalb ein gutes Vorbild“, sagt Wolke Hegenbarth. Wahrscheinlich sei dies der Grund, warum junge Leute die Serie so schätzten. Und warum sie selbst, die Schauspielerin, bei ihnen so respektiert sei.
Vorbild, Respekt …? Kann nicht jeder älter UND klüger werden.

Sagte ich, dass DSDS die hinterste Ecke der untersten Schublade sei? Dieter, rück mal ein Stück, Du bekommst Gesellschaft.

Heidi, Detlef, Sarah und ich

Es ist peinlich. Es macht mich nicht attraktiver. Es lässt mich nicht sehr schlau wirken. Ich heiße Julia Emma Schröder, und ich stehe auf Castingshows. Ich gucke sie alle: GNTM, X-Factor, den dünnen D!Soost, die Stimme Deutschlands. Ich kenne da kein Pardon. Doch. Eins. Dieter Bohlen. DSDS ist mir tatsächlich zu doof, es gibt eine Grenze. Wenn RTL Stampfgeräusche einspielt, und eine etwas korpulentere Frau betritt das Bild – das ist dann die hinterste Ecke der untersten Schublade.

Bei den anderen Formaten werden die Leute auch vorgeführt, jaja. Aber bei X-Faktor etwas netter. Natürlich ist das scheinheilig. Die einen behandeln die Kuh wie ne Sau bevor sie geschlachtet wird, die anderen stellen sie vorher auf eine Weide. Das Ergebnis ist das gleiche.

Du kannst die Hand jetzt wieder von der Stirn nehmen. Nein, ich habe nicht nur ein Grundrauschen da, wo andere Hirn haben. Ich lese gern, nicht „Julia“-Romane, ich lese Nachrichten, Tageszeitungen, Feuilletons, spiegel.de, Interview, Die Zeit, auch Frauenpresse wie Brigitte und Gala, aber auch den Bericht über das Higgs-Teilchen in der Süddeutschen.

Und ich finde es unterhaltsam, anderen Menschen dabei zuzugucken, wie sie sich präsentieren. Das Gefühl des Fremdschämens kenne ich kaum, ich ersticke es mit herzhaftem Gelächter – während andere sich vor Scham auf dem Sofa winden, stecke ich die nächste Weintraube in den Mund und komme aus dem Grinsen nicht mehr raus.

Was sagt das über mich? Bin ich gehässig? Nur ganz selten. Kleingeistig? Nö. Voyeuristisch? Bestimmt. Ich schaue auch gern in Wohnzimmerfenster.
Mit Rechtfertigungen wie „Da sind manchmal wirklich gute Sänger dabei“, fange ich gar nicht erst an – gute Musik habe ich auf CD.

Bin ich mitleidslos? Vielleicht. Ich behaupte: Die wissen, was sie tun. Sie finden sich toll und wollen ins Fernsehen. Mindestens ein Mal lief bereits jede Castingshow. Die meisten fünf bis zehn Mal. JEDER, der bei so etwas mitmacht, hat die Staffel davor gesehen. Und wenn dann Maik aus Maulbronn da vorne steht und meint, er könne singen – und es klingt wie zehnter Akt in den letzten Zügen – dann muss er damit rechnen, negative Kritik zu ernten.

Die anderen sagen: Solche Menschen muss man vor sich selbst schützen. Die verstehen nicht, was sie da tun, dass sie sich lächerlich machen.
Doch wenn Anna aus Appelhülsen auf nem Stern, im Kreis oder sonstwo steht, die Hände in die Hüften stemmt, die Jury verständnislos anguckt und anfängt, zu diskutieren, dass SIE vielleicht meinen, sie könne nicht singen – sie aber von allen ständig gesagt bekäme, sie wäre eine großartige Sängerin – dann tut mir so jemand einfach nicht leid.

Es ist erbärmlich. Es ist niedriges Privatfernsehniveau, niemand guckt es, aber alle haben mal „reingeschaltet“ und natürlich gleich wieder weg. Ich nicht. Ich bleibe 135 Minuten.
Wann fängt eigentlich „The Voice of Germany“ an?