Bravo-Stöckchen

Gerade eben ist mir ein Stöckchen von Fräulein Wunder vor die Füße gefallen, das hebe ich doch mal schnell auf. Das Bravo-Titelblatt meines Geburtstags zeigt lauter Menschen, die ich nicht erkenne
Maggie Mae war das „total verrückte Huhn“ und Schlagersängerin, Holm kommt mir doch etwas bekannt vor – Andreas Holm? Ist doch auch so’n Schlagerfuzzi. Dr. Korff erzählt, wie man Mädchen aufklärt, Richard Thomas lächelt als John Boy der Waltons vom Poster und Oliver Tobias, Schauspieler, schreibt für uns. Den Namen Gemma hab ich noch nie gehört, und den Typ dazu noch nie gesehen. Kein Rock’n’Roll an meinem Geburtstag. Keine Geschichten, die ich zu einem der Covermodels erzählen könnte. Seufz.

Vielleicht können das ja andere – das Stöckchen der Bravo-Titelbilder an und um den Geburtstag herum geht an:

Die Spreepiratin, St. Burnster, dessen Sommerpause am 1. August vorbei ist, und an Mek

Die buckelige und knuddelige Nachbarschaft / Zwischenbericht

Unsere jetzigen Nachbarn bewegen sich in einer Spannbreite von schrecklich bis schrecklich nett. Im Haus selbst haben wir einmal unseren direkten Nachbarn T. – Sportfotograf und ein wirklich netter Mensch, mit dem wir ab und an mal beim Italiener sitzen oder auf dem Hausflur klönen.

Auch direkt neben uns, allerdings im Haus nebenan, wohnt eine Großfamilie, die den Begriff „Ruhe“ so noch nicht gehört hat. Nächtliche Streitereien um drei Uhr bei offenem Fenster, Kinder, die bis ein Uhr nachts schreiend durch die Wohnung trampeln oder nachmittags im Hof so dermaßen lange am Stück immer wieder diegleichen Worte brüllen, dass man meint, ihnen müsste gleich der Kopf platzen. Dann die Musikanlage, die wahlweise um Mitternacht oder sieben Uhr morgens auf Anschlag aufgedreht wird und noch so einiges mehr. Mit Fenster zu kann man viel lösen, nur ist die Lust, bei diesem Wetter mit geschlossenem Fenster zu schlafen, recht gering. Ohrstöpsel helfen manchmal.

Gestern nacht um ungefähr 4:15 dann ein anderes Geräusch der Nachbarn, die zwei Stockwerke unter uns wohnen: Ihr hörbar noch sehr kleines Baby heulte. Herzzerreissend. Und spätestens da merkt man, wie weichgeklopft man in Bezug auf solche Störungen als Schwangere ist – könnte ich doch normalerweise jeden, der mich mit Geräuschen um die Uhrzeit um meinen Schlaf bringt, vierteilen, lag ich lächelnd und wach im Bett, und stand nach ein paar Minuten mit den Worten auf: „Ich mach mal das Fenster zu, solange das noch so einfach ist.“

Die buckelige Nachbarschaft / Teil 1-3

Mir wird schlecht. Der Uniformierte kommt an die Beifahrerseite: „Ihren Ausweis bitte.“ „Wieso das denn?“ „Wir müssen Ihre Personalien aufnehmen.“ Mit feuchten Fingern friemel ich meinen Perso aus der Tasche. M. steht neben dem Polizeiwagen herum, zuckt mit den Schultern, guckt entschuldigend. Wie eine gelähmte Schnecke sitze ich noch immer auf dem Beifahrersitz. „Und nun?“ frage ich. „Sie können entweder hinter uns her zur Wache mitfahren oder sich ein Taxi bestellen.“ Taxi. Sehr witzig. Nach Hause kostet das ja auch nur schmale 30 bis 40 Mark. Toller Tipp. M. reicht den Autoschlüssel durch das Fenster, „Ist kein Problem, ganz normale Gangschaltung, fahr einfach hinterher.“ Noch witziger. Seit zwei Jahren stolze Führerscheinbesitzerin habe ich bisher nichts anderes als eine italienische Keksdose durch die Welt gesteuert, mit Monstertrucks habe ich weniger Erfahrung.
Na, was soll’s, mir bleiben nicht viele Möglichkeiten. Innerlich fluchend rutsche ich auf den Fahrersitz, währen der Polizeiwagen bereits wendet. Den Sitz muss ich so weit nach vorne schieben, dass mein Kinn am Lenkrad klebt, dann tippe ich mit dem Fuß auf das Kupplungspedal. Nichts passiert. Ich trete stärker, es neigt sich zwei Millimeter. Den rechten Fuß auf den linken drückend schaffe ich es, das Pedal bis zum Anschlag durchzutreten. Das kann ja lustig werden. Irgendwie bekomme ich das Ungetüm auf die Straße, auf die richtige Fahrbahn und kämpfe abwechselnd damit, die Gänge umzuschalten und dem Polizeiwagen nicht hinten drauf zu fahren. So muss ein Besoffener fahren, der alles doppelt sieht.

Auf der Wache angekommen, nehmen sie M. mit in einen Raum hinter dem Tresen und deuten mir an, zu warten. Inzwischen ist es halb drei und ich frage mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich diesen dusseligen Polizisten vor ein paar Tagen einfach angerufen hätte. Meine Augenlider werden schwer, ich döse. Schließlich geht die Tür auf, einer der Polizisten kommt raus: „Also das mit ihrem Freund dauert noch etwas.“ „Das ist nicht mein Freund.“ „Was? Ach so. Naja auf jeden Fall dauert es noch etwas. Und eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten – entweder wir behalten ihn über Nacht hier oder jemand hinterlegt 1 000 Mark Kaution für ihn.“ „Und dann darf er nach Hause?“ „Genau.“ „Nur wegen dieser Auffahrsache?“ „Tja, so ist das Gesetz. Wenn man sich absichtlich stur stellt und nicht zahlt, kann so etwas passieren.“ „Das heißt, ich müsste jetzt 1 000 Mark organisieren?“ „Wenn Sie Ihren Freund heute noch mitnehmen wollen, ja.“ „Er ist nicht mein Freund.“ „Ach ja, klar.“

Ich ringe mit mir. Drei Möglichkeiten habe ich: Mit dem Auto für Große nach Hause holpern und riskieren, unterwegs ein paar Briefkästen mitzunehmen, mit einem Taxi für inzwischen höchstwahrscheinlich 50 Mark nach Hause fahren, oder zum Automaten dackeln und die Kaution ziehen. 1 000 Mark. Das ist genau der Grenzbetrag, den man an einem Tag abheben kann – wenn der Dispo es noch hergibt. Und das könnte eng werden. Na super. Egal. Ich will nach Hause. „Wo ist denn hier ein Bankautomat?“ Um viertel vor drei stehe ich an der roten Geldausgabe, bereitwillig schiebt sie mir die Scheine entgegen. Puh. Zurück auf der Wache steht der andere Polizist am Tresen: „Na, da wird sich Ihr Freund aber freuen.“ „Das ist nicht … ach. Sagen Sie mal, wie lange dauert es jetzt noch? Und bekomme ich eigentlich irgendeine Sicherheit für mein hinterlegtes Geld?“ „Von uns nicht, aber ich würde mir an Ihrer Stelle den Fahrzeugbrief geben lassen, wer den hat, dem gehört der Wagen.“ „Gut, und Ihr Name? Damit ich einen Zeugen habe, dass ich das Geld hier abgegeben habe.“

Nachdem ich den Namen notiert habe, kommt M. endlich aus der Tür, dankbar,schuldig lächelnd. „Emma, das vergesse ich Dir nie.“ „Ich Dir auch nicht. Können wir jetzt los?“ „Ja, klar. Der Polizist meinte, ich sollte Dir den Fahrzeugbrief als Sicherheit geben. Hier. Aber das Geld hast Du morgen Früh zurück. Versprochen.“ „Das will ich Dir auch geraten haben. Sonst verkaufe ich Dein Auto.“ Auf dem Nachhauseweg schlafe ich fast ein, M. sabbelt. Um kurz vor vier liege ich endlich in meinem Bett – was für ein Alptraum. Nur ein Bier für eine gute Tat. Das mit den guten Taten überlege ich mir in Zukunft.

Morgens um zehn Uhr klingelt es, M. steht freudestrahlend vor der Tür und streckt mir einen Umschlag entgegen: „Zähl bitte einmal kurz nach, ob es stimmt.“ „Ja, passt. Sind die Scheine denn echt?“, versuche ich einen müden Scherz. M. guckt beleidigt „Es tut mir wirklich so was von Leid, ich mach das wieder gut.“ „Nein, bitte nicht. Ist schon okay.“ Ich drücke ihm seinen Fahrzeugbrief in die Hand und die Tür zu.

Abends klingelt es wieder, M. steht wieder vor mir. Statt eines Umschlags streckt er mir eine Flasche Wein entgegen: „Komm, ein Glas als Dankeschön wenigstens.“ Ich bin einfach zu nett. Zwanzig Minuten später sitzen wir in meiner spärlich eingerichteten Wohnung und trinken Rotwein. M. guckt langsam glasig und legt los: „Ach Emma, wenn es nur mehr Frauen wie Dich geben würde. Alle Weiber, die ich bisher kennen gelernt habe, sind nicht so patent, nicht mutig, hilfsbereit, spontan … “ Auch das noch. Was habe ich eigentlich verbrochen? „Du, so langsam bin ich ganz schön müde.“ „Nee, echt, Emma. Eigentlich möchte ich mal eine Frau kennen lernen, die genauso ist wie Du.“ Mich schief angrinsend kippt M. sich den Rest seines Glases in den Mund. „Du, wie gesagt – ich bin ziemlich müde, ich muss Dich jetzt leider rausschmeißen.“ „Och, schade, na ja, wir können ja ein anderes Mal weiterreden. Wir sollten das wirklich öfter machen.“ Mir wird unwohl. „Ja, klar. Gute Nacht.“
Zwei Monate später bin ich ausgezogen.

Saugwürmer

Im Hamburger Eichbaumsee ist das Baden seit zwei Tagen untersagt. Der Grund: Saugwürmer oder auch Gabelschwanzwürmer. Das klingt so dermaßen ekelhaft, dass ich keinen Zeh in dieses Gewässer stecken würde.

Dieses aus Entenscheiße entspringende kleine Ungetüm bohrt sich in die obersten Hautschichten, kommt nicht weiter und stirbt ab. Als Andenken hinterlässt es rote Quaddeln, die fies jucken und zehn bis zwanzig Tage vor sich hin schwellen. Mit solchen Badekollegen macht das keinen Spaß. Finden einige nicht – und springen trotzdem rein. Das muss die Sonne sein. Ausgedörrte Hirnzellen.

Absturz

So, nun bin ich extra ein paar Minuten früher aufgestanden, um im kühlen Luftzug die Geschichte zu Ende zu schreiben, da schmiert Word nach der Hälfte des Textes ab. Leider nix gespeichert, und ich bin nicht mit genügend Geduld ausgestattet, um mich jetzt seelenruhig hinzusetzen und den ganzen Kram nochmal zu schreiben.
In solchen Momenten könnte ich den Computer in hohem Bogen aus dem Fenster werfen, um dann mit einem Hammer und Schaum vorm Mund hinterherzulaufen.

Denkwarm

Nachdem ich die 38 Grad im Schatten gestern durch penetrantes „In der Wohnung bleiben“ ausgesessen habe, fließe ich nun leicht und seicht bei gefühlten 30 vor mich hin.
Alles klebt ein bisschen, auch die Hirnzellen, und ich freue mich auf ein großes Eis beim Eisdealer in der Schanze. Noch zwei Tage, dann ist die Nachbarschaftsfortsetzung geschrieben, aber nur in kühlen Abendstunden. Vorher geht nix.

Kein Schlaf in Hamburg

Bevor es mit dem 3. Teil der ersten Erzählung über meine buckelige Nachbarschaft weitergeht, hier drei Videos von Anouk, deren Musik ein Herzensding für mich ist.
Vor zehn Jahren ging man auf Hamburgs Reeperbahn entweder in Technodiscos, Schlager- und Schunkelbuden oder in Rockschuppen. Ich war in den Rockschuppen. Zuerst Kaiserkeller, später Grünspan.
Das erste halbe Jahr musste ich im Kaiserkeller stets meinen Personalausweis vorlegen, nachdem dem Türsteher klar wurde, dass ich volljährig bin und 2-3 Mal die Woche Gast war, durfte ich ab und zu mit zugeflüsterten Losungsworten wie „Karnickelarsch“ die Kasse so passieren. Was für eine geile Zeit – Faith No More, Soundgarden, Live, Stone Temple Pilots, Pearl Jam – und Anouk.

Nachdem ich ausgezogen war und im Sommer 95 meine Ausbildung antrat, übertrieb ich es natürlich hemmungslos, tanzte neben den Samstagen auch montags und donnerstags von 23 Uhr bis 4 Uhr morgens im Kaiserkeller, fuhr mit Fiat Panda, runtergekurbeltem Fenster und raushängendem Kopf wieder Richtung Heimat, kurz vorm Einschlafen. Zuhause haute ich mich entweder noch eine Stunde hin oder duschte gleich doppelt so lange, frühstückte um sechs Uhr, hielt mich mit vier Bechern Kaffee wach und fuhr in die Holsten-Brauerei. Um dort gleich in der ersten Station meiner Ausbildung, der Rechtsabteilung, beim Einzelgespräch mit dem Juristen einzunicken. Ob der Herr Jurist auch so ab und zu aus dem Fenster geguckt hätte, während er seinen Monolog hielt – oder ob er meinen ständig zurückknickenden Kopf dezent überspielen wollte, vermag ich nicht mehr zu beurteilen.
Nach einer Stunde hatte ich blaue Flecke an den Beinen und rote an den Handflächen, da ich mich versuchte, durch selbst zugefügten Schmerz wachzuhalten. Klappte mäßig.

Etwas ungesund sah ich in diesen Jahren aus, wie mir später bestätigt wurde – aber ich fühlte mich super. Zu dem in meinen Augen unerträglich spießigen Alltag war das mein Gegenpol. Den Schlaf holte ich nach. Legte mich an einem Freitag aufs Bett, schaltete um 17 Uhr den Fernseher ein, wollte nur kurz dösen, bis es abends wieder losgehen sollte. Als ich die Augen wieder aufmachte, war es heller Tag und ich seltsam erholt. Das Fernsehprogramm passte nicht zur gefühlten Uhrzeit – inzwischen war Samstag, 10 Uhr morgens.

Nun aber zu Anouk. In Deutschland weniger bekannt, in den Niederlanden ein Superstar, gibt es ein paar Songs, für die ich dieser Frau die Füße küssen könnte. Ihretwegen wollte ich einen Nasenring haben, ich wollte singen wie sie, und Dreads tragen – ich hab’s nie gemacht. Schade eigentlich.

Kaiserkeller-Song. Und mit meiner früheren Band gecovert – Nobody’s Wife

„Michel“ wird immer einer meiner Lieblingssongs bleiben. Ein Lied über das Abschiednehmen. Wehmütig, einfach und schön.

Dieses Lied drückte mir mein Gesangslehrer auf’s Auge. Ein Übungsstück par excellence. Wer nämlich meint, Anouk würde einfach nur ins Mikro brüllen, dem sei gesagt, dass die Frau eine Gesangsausbildung am Rotterdamer Musikkonservatorium absolviert hat – und „Sacrifice“ sauschwer zu singen ist.

Die buckelige Nachbarschaft / Teil 1-2

Ich war tatsächlich eingenickt ;-), hier die Fortsetzung:

Einen Tag später steht M. vor meiner Haustür: „Emma, das war supernett von Dir, dass Du mich bei den Bullen nicht verpfiffen hast – wenn Du Zeit hast, schmeiße ich ne Runde Bier heute Abend.“ „Na klar, klingt gut, um Acht?“
Um zehn nach stehe ich vor einem gefühlt zehn Meter hohen Geländewagen und suche die Leiter – wie kommt ein Mensch unter 1,70 nur in solche Geschosse ohne sich an der Fassade entlang zu hangeln? Mit einem beherzten Hüpfer schaffe ich es auf den Beifahrersitz. Und mit dem naiven Gottvertrauen einer Zwanzigjährigen frage ich erst, als wir auf der Straße sind: „Was wollte die Polizei denn eigentlich von Dir?“ Ein Auffahrunfall also. Mehrere Autos hintereinander ineinander geschoben. Verfahren im Interesse der Öffentlichkeit. Oder so. Jedenfalls geht es um eine Geldbuße, die er monatlich abstottert. Und wenn er mal einen Monat die Überweisung vergisst und die Mahnung übersieht, steht die Polizei eben vor der Tür. Ach so, klar. Hab ich mir doch gedacht, dass das nichts Schlimmes sein kann. Hund P. schnorchelt hinter mir auf der Rückbank, jetzt habe ich wirklich Lust auf ein Bier.

Stundenlang sitzen wir in der Kneipe, klönen und vergessen die Zeit. Ein netter Abend. Als ich auf die Uhr gucke, ist es halb Zwei. Wir zahlen, gehen zum Auto, ich hüpfe auf den Beifahrersitz und zurück geht es Richtung Wohnung. Viel Glück mit der Ampelschaltung haben wir nicht, und so gibt M. an einem kirschgrünen Pfeil einmal ordentlich Gas, um es noch um die nächste Ecke zu schaffen. Zehn Meter weiter verlangsamt er die Fahrt und fährt wortlos rechts ran. Ich bekomme feuchte Hände, mein Puls geht schneller und ich denke: „Und wenn das doch nicht nur ein Auffahrunfall war …?“

Da sehe ich von der Seite das Blaulicht flackern. Puh. „Das war wohl etwas eilig. Die Papiere bitte.“ M. wühlt im Handschuhfach: „Ja, kleinen Moment. Ich habe nur den Fahrzeugbrief, da ich das Auto gerade von Privat gekauft habe. Da steht auch mein Name noch nicht drin, sondern der der Vorbesitzerin.“ „Geben Sie einfach mal her. Wir werden das gleich mal prüfen.“ Der Polizist drückt die Papiere seinem Kollegen in die Hand und geht ein bisschen um das Auto herum. „Komm mal kurz her“, ruft sein Kollege. Die beiden sprechen leise miteinander, da kommt einer von ihnen wieder zum Auto: „Herr M.K., ich muss Sie bitten, auszusteigen und uns zur Wache zu begleiten.“

Was auf der Wache abgeht, was ich damit zu tun habe und wie die Geschichte ausgeht – in Teil 1-3, diese Woche.

Die buckelige Nachbarschaft / Teil 1-1

Nun geht es endlich los, hier der seit langem angekündigte erste Teil der Nachbarschaftsgeschichten aus Zeiten meiner Umzugsodyssee in Hamburg:

Direkt nach dem Abi zog es mich raus, raus in die weite Welt. Vier Stadtteile weiter. Und dort saß ich nun, meinen 20. Geburtstag vor Augen, eine Beziehung wie sie schräger nicht sein konnte und eine wirklich hässliche Wohnung an einer wirklich hässlichen Straße – mit dieser schrägen Beziehung. Als die Beziehung auf freundlichen Wunsch meinerseits nach drei Monaten auszog, ich schadlos meinen 20. Geburtstag überstand, wurde es dann doch noch ein recht schöner Sommer 1995.

Ich räumte mein Bett aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer, damit die leere Sofaecke nicht so trostlos aussah, stellte Topfplanzen in die andere Ecke und machte mich dreimal die Woche mit meinem Fiat Panda auf den Weg in den Kaiserkeller auf der Reeperbahn, um die Nächte bis morgens verschwitzt durchzutanzen. Ich ging auf mein erstes Festival, rauchte meinen ersten Joint, hörte Pearl Jam, verliebte mich in Eddie Vedder (Foto) und Männer, die so aussahen wie er, jobbte und schaute mit wachsendem Grauen auf meine herannahende kaufmännische Ausbildung. Ausbildung. Aus mir sollte schließlich etwas werden.

Die Nachbarn hatten es recht leicht mit mir, ab und zu um fünf Uhr morgens Duschgeräusche, sonst war ich kaum zu Hause. Mein direkter Nachbar M. entpuppte sich als einziger netter Flurkontakt, den Rest im Haus sah ich nie. M. hatte eine Metallwerkstatt für Schiffsbeschläge und einen süßen, sehr verwuschelten Schäferhund mit Schlappohren, P.

Eines Tages klingelt es, zunächst beim Nachbarn, dann bei mir. Ein Mann in grüner Uniform steht vor der Tür: „Guten Tag, sagen Sie, ist der Herr M. K. zu Hause?“ Ich schaue das Männchen mit Mütze unverständig an, drücke auf den Klingelknopf rechts von meiner Haustür, der Ton schallt durch die Wohnung nebenan – nichts. „Nee, also ich glaube nicht, dass der zu Hause ist.“ Eifrig fingert er in seiner Brusttasche herum, seine Mütze rutscht ihm in die Stirn: „Also, wenn der Herr M. K. heute noch nach Hause kommt, seien Sie doch so nett und rufen mich kurz unter dieser Nummer an.“ Verwundert und abgestoßen von dem schiefen, schmierigen Lächeln, antworte ich: „Klar, mach ich.“

45 Minuten später höre ich die Wohnungstür neben mir ins Schloss fallen. Mh. Wenn M. ein Schwerverbrecher wäre, würden die Staatshüter wohl kaum so lapidar vorbeikommen und Visitenkarten verteilen. Oder? Ich trete auf den Laubengang und klingel. P. bellt, M. öffnet die Tür. „Hallo M., vorhin war die Polizei da, die wollen Dich sprechen. Hier ist die Karte, eigentlich sollte ich sie anrufen, aber mach das mal selber.“ „Oh, danke, Emma. Ich kann das erklären.“

Was die Polizei von M. will, warum ich nachts in einem riesigen Geländewagen einem Einsatzfahrzeug folgen muss und mein Girokonto plündere – in Teil 1-2.

Song des Tages: Jack Johnson, „Breakdown“