5 Minuten bis Arbeitsbeginn

Also nur schnell ein paar Zeilen.

Heinz Erhardt sagte:

Ein Naßhorn und ein Trockenhorn
spazierten durch die Wüste,
da stolperte das Trockenhorn,
unds Naßhorn sagte: „Siehste !“

Mal trumpft man auf, mal hält man stille,
mal muß man kalt sein wie ein Lurch,
des Menschen Leben gleicht der Brille:
man macht viel durch.

Der König Erl
Wer reitet so spät durch Wind und Nacht?
Es ist der Vater. Es ist gleich acht.
Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm, denn er ist erkält‘.
Halb drei, halb fünf. Es wird schon hell.
Noch immer reitet der Vater schnell.
Erreicht den Hof mit Müh und Not –
der Knabe lebt, das Pferd ist tot!

Von der offiziellen Website: Heinz Erhardt

1 Woche bis die Lichter ausgehen

Geschmackliche Mutproben sind momentan an diversen Balkonen und Fenstern zu betrachten. Von weihnachtlicher Beschaulichkeit keine Spur: Diskofieber passt eher – es blinkt, es zittert, läuft und blitzt – und vor allem: hell! Sowas von hell! Ich stelle mir vor, wie es hinter diesen Dekokatastrophen aussehen muss. Bei Lichtgewitter schön eine Flasche Pils öffnen und es sich im blauen Blinklicht so richtig gemütlich machen. Das muss doch auf’n Kopf gehen.
Vorgestern fuhr ich dann am Megabalkon vorbei, ich bin fast vom Rad gefallen, so sehr hat es mich geblendet: Oben Lichterketten, unten Lichterketten, an den Seiten, im Fenster leuchtete es auch, der totale Wahnsinn. Und doch noch nichts gegen den lustigen Lokomotivzug in der Thadenstraße, der rot-grün-blau strahlend am Balkongitter befestigt ist, gleich unter dem Weihnachtsmann, der auf einem Halbmond reitet und dem Weihnachtsmann, der mit einem Fallschirm am Rücken von der Decke hängt. Meine Güte. Leider war der Akku meiner Kamera leer, aber das hole ich nach!

Die kleine Musikhalle ist da deutlich dezenter, nämlich gar nicht geschmückt. Auf der schlichten Bühne stand gestern Martin Fröst, Klarinettenwunder aus Schweden, mit Roland Pöntinen am Klavier. Schönes von Schumann und Ravel, sowie moderne Stücke von Fredrik Högberg und Anders Hillborg, die in meinen Ohren gewöhnungsbedürftig aber spannend waren. Dazu die Performance von Fröst, man kann es kaum erklären – ich habe noch nie jemanden so virtuos mit seinem Instrument umgehen sehen und hören. Olivier Messiaen wird allerdings nicht mein Lieblingskomponist, das Stück klang, als wenn ein Fünfjähriger auf der Tastatur herumrutscht.
Halbvoller Saal und doppelter Applaus, ein großartiger Abend.

Song des Tages: Nancy Sinatra, „Sugar Town“

7 Tage bis zur Geschenkausgabe


Wieder einmal auf dem letzten Drücker: Weihnachtsgeschenke. Zum Glück ist mein Zettel nicht sehr lang, da meine Familie und ich beschlossen haben, uns nichts mehr zu schenken. Danke! Das lässt Zeit für einen kurzen Abstecher ins Alsterhaus für eigene Belange.
In der Strumpfhosenabteilung schleiche ich von Regal zu Regal und kann mich nicht entscheiden. Mir geht es um etwas Schlichtes, Schwarzes, etwas, das einem ermöglicht, auch im Winter Röcke zu tragen. Erschlagen werde ich von endlosen Musterstrumpfhosen-Reihen, die meine Netzhaut zum Flackern bringen. Wer zieht bloß so einen Mist an? Grafische Abwandlungen, die nicht mit den gängigen Formen wie „rund“ oder „quadratisch“ zu beschreiben sind und Farben, die man noch nicht einmal als Socken tragen würde. Wenn so eine „pfiffige Musterstrumpfhose“ dann angezogen ist, sieht es aus, als hätte man Lepra. Oder einfach nur Schimmel, Hautirritationen, Beulen – diese Dinger machen alles – nur keine schönen Beine!

Ich wühle also in der Normalo-Ecke. Eine freundliche Verkäuferin fragt, ob sie mir helfen kann. Als ich zu meiner Frage ansetze, ist mir noch nicht klar, wie tatkräftig diese Dame ist … Wie die Größen ausfallen, möchte ich wissen. Gar kein Problem! „Dann packen wir die einfach mal aus!“ erwidert sie. Zwei Handgriffe später stehe ich im Gang zwischen gestressten Menschen und knisternden Verpackungen und habe eine ausgerollte Strumpfhose vor mir, mit einer hilfsbereiten Fachkraft dran. Die meint nur: „Darf ich mal?“, hält das obere Ende an meiner Hüfte fest und zieht die Fußenden auf den Boden. „Das müsste passen.“ Irgendwie ist es mir etwas peinlich, wie ich da so stehe und mir eine Strumpfhose angehalten wird, und ich bin froh, dass ich nicht nach Strapsen gefragt habe.

In der Spielwarenabteilung bei Karstadt ist dann keine Zeit mehr für Gefühle. Hier herrscht Krieg. An den Dauerdruck von Körperteilen in meinem Rücken gewöhne ich mich schnell, doch als ich zwischen den Regalen einfach stecken bleibe, da sich um mich herum nichts mehr bewegt, bekomme ich ein bisschen Panik. Kurzatmig erreiche ich mein Fahrrad und bin erleichtert, dass ich mich nicht auch noch in einen Bus prügeln muss. Über knirschenden Eisschnee und im Schein der Wintersonne radel ich nach Hause, an den Wallanlagen vorbei, dem Naturidyll für Innenstadtbewohner.

Song des Tages: Blind Melon & Pearl Jam, „California“

3 Monate und 9 Tage bis Frühlingsanfang


Schaut man sich das Foto an, möchte man nicht meinen, es sei gerade mal elf Uhr Vormittag. Grau in Grau mit ein bisschen – Grau. Dritter Advent und kein Sonnenstrahl lädt zum Spaziergang ein. Und dennoch bin ich mir sicher, dass auch heute die Rennbahn um die Alster rappelvoll ist. Der gemeine Hamburger an sich lässt sich nämlich von diesem Wetterzustand nicht irritieren, ist es für uns doch der Normalzustand. Also drängeln sich Wind und Wetter zum Trotz die Scharen um den schönen Stadtteich – gelegentlich angerempelt von Joggern oder aufgespießt von Nordic-Walking-Stöckern, schlendert und schiebt man sich in schicksten Klamotten von Bootshaus zu Bootshaus entlang des Ufers.

Wenn ich sage: „Ich bin im Osten aufgewachsen“, meine ich Hamburg östlich der Alster, denn Hamburg teilt sich in zwei Hälften: östlich der Alster und westlich der Alster, die horizontale Linie teilt es noch einmal in nördlich der Elbe und südlich der Elbe, doch die Stadtteile südlich der Elbe habe ich so gar nicht auf dem Zettel. Außerdem beginnt für den Norddeutschen Süddeutschland ja bereits am südlichen Elbufer. 😉
In zwölf Umzügen habe ich mich zum Westen rübergeschlagen und möchte hier nicht mehr weg. Alster vs. Elbe – der klare Gewinner: die Elbe. Mit Containerschiffen, Wellengang und Sandstrand …

In einer Hafenstadt geboren und aufgewachsen, kann ich mir nicht vorstellen, irgendwann einmal auf dem Trockenen zu leben. Und den kühlen Norden verlassen? Niemals für immer. Denn wenn ich alt und runzelig bin, möchte ich sterben mit Blick auf das Wasser und norddeutschem Wind in den Haaren.

Song des Tages: The Smiths, „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“

10 Stunden bis der Wecker klingelt

Wenn die Augen den ganzen Tag brennen, als ob man die Kontaktlinsen versehentlich in Säure statt Base getaucht hätte, dann steht fest: Das war zu wenig letzte Nacht. Denn dass man auch müde von zuviel Schlaf sein kann, halte ich für ein schlappes Gerücht, welches übersetzt heißt: „Nun stell dich mal nicht so an.“

Warum schlafen wir eigentlich? Angeblich, um den Neuronen eine Verschnaufpause zu gönnen, denn wenn man wach ist, lernt man ununterbrochen – die Synapsen, welche die Verbindung zwischen den Neuronen bilden, sind also auf Dauerfeuer. Und diese Synapsen sind Energiefresser, also melden die Neuronen irgendwann Erholungsbedarf und die Augen fallen zu.
Wenn das stimmt, hieße das ja, dass Menschen, die mit wenig Schlaf auskommen, einfach weniger lernen. Und ich, die mindestens acht bis neun Stunden braucht, um einen knatschfreien Tag zu erleben, lerne mehr. Hab ich’s mir doch gedacht. Was mich stutzig macht: Auch Fruchtfliegen brauchen zehn Stunden Schlaf.
Giraffen übrigens nur zwei, und der Papageienfisch sondert in seinen Ruhephasen eine Schleimhülle ab, in die er sich dann einhüllt. Wie ekelhaft. Stellt Euch das mal auf den Menschen übertragen vor … Nee, stellt es Euch lieber nicht vor.

Die Nacht im Karoviertel fängt oft spät an und endet umso früher. Feiert der eine Nachbar bis morgens um Vier, wird der andere um kurz vor Sieben vom Pflegedienst geweckt. Ein ausgewachsenes Nilpferd trampelt die Treppe bis in den fünften Stock hoch, klingelt, schließt die Tür auf, um noch im Türrahmen stehend unserem halbtauben Nachbarn zuzubrüllen: „Guteeeen Morgeeeeen!!“ Rums! Die Tür ist zu, dafür geht nach drei Minuten das Badezimmerfenster auf – die Nachbarschaft soll schließlich auch was von den Gesprächen haben. Gespräche, bei denen sich zwei Menschen eigentlich durchgehend anschreien – der eine, damit der andere ihn hört, der andere, damit er sich selbst hört. Zu diesem Zeitpunkt sind es noch runde 60 Minuten bis zum Weckerklingeln.

Heute gibt es kein Foto. Ich war zu müde, um die Kamera zitterfrei zu halten.

Song des Tages: Amos Lee, „Soul Suckers“

2 Tage bis Wochenende


Herrlich – mal wieder ein schönes Adventswochenende in Aussicht. Kekse backen, Weihnachtsfeier, so gehört sich das! Nun fehlt nur noch die Wintersonne, wie auf dem Foto von vergangener Woche. Morgen erscheint übrigens eine neue Maxi-CD von Michael Bublé mit fünf Weihnachtsliedern – die werde ich mir kaufen, denn ich muss gestehen: Ich höre gern Weihnachtslieder. Natürlich nicht im Juli, doch wenn schon Weihnachtszeit, dann richtig! Mit Lichterkette, Lametta, Christbaumkugeln, Glühwein und eben – Weihnachtsliedern.

Abgesehen von oben genannter CD gibt es noch ein paar weitere Tonträger von M. Bublé, die wohl bald im alphabetisch geordneten Regal stehen werden, denn das, was ich gestern im Hamburger CCH1 gesehen habe, hat mich vom großzügig geschnittenen Hallenstuhl gerissen. Mit meiner Freundin Jessica saß und klatschte ich in der fünften Reihe, Mr. Bublé stieg die Showtreppe runter und swingte, was der Bodenbelag hergab. Wow, was für ein Konzert! Acht Bläser, Kontrabassist, Schlagzeuger, Gitarrist, Pianist und ein großer Sänger, der die Menge bereits nach dem zweiten Lied in seinen charmanten Bann gezogen hatte. Ausdrucksstärker als in Videos, stimmgewaltiger als auf CD – Bublé mit einer Nonchalance, die ihresgleichen sucht.
Aus den hintersten Reihen wurde Fotos gemacht, was auf Unverständnis stieß – er sähe auf den Bilder höchstens aus wie eine Ameise, beschwerte sich Bublé, legte das Mikrofon zur Seite und düste los – durch die Gänge der 3000 Gäste, umarmte, knutschte, was sich ihm vor die Füße warf, machte Fotos, drückte Hände, joggte hoch in den Rang, sagte hallo, peste wieder runter, die Band spielte und spielte, Bublé rannte und rannte. Wieder auf der Bühne bedankte er sich für den herzlichen Empfang – und ein ganz besonderes Dankeschön an den älteren Herren oben links im Rang, der ihm so nett den Hintern getätschelt hat. „You know who you are – big boy!“.

Song des Tages: Michael Bublé, „Kissing A Fool“

27 Minuten bis Spielende


Und Schalke 04 ist schon jetzt raus. Die Kicker vom AC Mailand haben das Ding im Sack. Ob ich mich für Fußball interessiere? Nö. Doch. Ein bisschen. Ich bin eine von diesen Teilzeittussis in punkto Fußball. Einige Spiele und vor allem Europa- und Weltmeisterschaften verfolge ich zwar ohne tiefgehende Sachkenntnisse, aber durchaus mit Herzblut.
Oh, kurzer Einwurf: 2:3 für Schalke, geht da doch noch etwas?
Wo war ich? Ach ja, Herzblut. Aber kein rosarotes. Denn ich kann durchaus meine Klappe halten, stöhne nicht ständig verzückt über tolle Wadenmuskeln oder die süßen Franzosen oder ärgere mich lauthals über Abfiffe, die offensichtlich Abseits waren. Natürlich mache ich all das in inneren Monologen mit mir aus, doch ich weiß mich in Gegenwart von Männern beim Fußballgucken eben zu benehmen. Ein erschrockener Griff an den Unterarm meines Sitznachbarn kann vorkommen, ein erstaunt begeistertes „Alter! Was für ein Schuss!“, und frenetischen Jubel beim Tor durch die richtige Seite gibt’s bei mir natürlich auch. Und Sofa, Dosenbier, Chips – halt das Kulturprogramm drumerhum, das macht Spaß.

Fest in männlicher Hand ist Fußball trotz Künzer & Jones nach wie vor. Warum eigentlich? Warum finden Frauen Fußball weniger spannend als Männer? Und selbst wenn man sich als Frau nicht für die Regeln, den Sport an sich begeistern kann, ist es im Prinzip doch so: Da stehen sich 22 Kerle auf einem großen Rasenplatz gegenüber, ungefähr zehn davon sehen ziemlich klasse aus, sechs so lala und sechs gehen gar nicht. Sie laufen, sie spielen, sie raufen, und am Ende ziehen sie sich obenrum aus. Ist doch super, oder? In der Halbzeit kann man neue Margeritas machen, Bier holen oder Chips auffüllen und kurz telefonieren.
Oder sind wir vielleicht zu zimperlich – fehlen uns die Eier? Dem widerspricht die Jean-Claude-van-Damme-Hysterie in den Achtzigern und dass viele Frauen Handball spielen. Wer nämlich meint, Fußball sei hart, der sollte sich mal für eine Halbzeit als Kreisspieler aufstellen lassen.
lst es dann möglicherweise so, dass wenig Frauen Fußball gucken oder spielen, weil sie meinen, in Männeraugen als unweiblich zu gelten? Das wäre in eine dusselige Kerbe mit der Haltung, dass Frauen lange Haare haben müssen, um als echtes Weib durchzugehen. Eventuell ist es auch so, dass über die Grundvoraussetzungen – zu laufen und gegen einen Ball zu treten – fast jeder Mensch von Natur aus verfügt. Besonders schlau muss man für Fußball auch nicht sein, Spielerinterviews zeigen dies anschaulich. Also brauchen Frauen einfach etwas Anspruchsvolleres?

Auf dem Foto sieht man ein Plakat, welches kürzlich an unserer Hauswand in der Marktstraße hing. Kann es mir jemand erklären? „Richtig geile Scheiße“. Ah ja.

Song des Tages: Fiona Apple, „Shadow Boxer“

14 Tage bis zum Shaky-Konzert


Ich mag ihn immer noch. Er ist der einzige, für den ich jemals hysterisch geschwärmt habe: Shakin‘ Stevens.
Sechs Jahre alt war ich, als ich die erste Kassette bekam. Mit großem Kopfhörer auf kleinen Ohren hockte ich den halben heiligen Abend vor der Stereoanlage und lauschte hingebungsvoll dem kicksenden Engländer, kritzelte die Kassettenhülle mit meinem Namen voll, siehe Foto. Von da an ging nichts mehr ohne Shaky. Jede Bravo oder Popcorn, in der Shaky war, betitelte ich als lebensnotwendig, gern auch lauthals und mit stampfenden Füßen – meine Mutter hatte es nicht leicht. Wenn Thomas Gottschalk eine seiner Popshows moderierte, kämpften die Müdigkeit und ich ein verbittertes Gefecht durch Auftritte von Kim Wilde und Adam Ant hindurch, bis mein Held in weißen Lederslippern endlich auf dem Bildschirm erschien. Davor hockend, in Nachthemd und Wolldecke, wäre ich am liebsten in den Fernseher hineingekrochen, um ihm nahe zu sein. Wenn er „Oh Julie“ sang, fühlte ich mich angesprochen, doch mit „A Rockin‘ Good Way“ stellte er meine Solidarität auf eine harte Probe – versetzte mir seine Duettpartnerin, Bonnie Tyler, doch einen kleinen aber spürbaren Stich. Eine direkte Konkurrenz konnte ich zwar nicht erkennen, und dennoch machte ich in diesem Moment meine erste oberflächliche Bekanntschaft mit der Eifersucht.

Das Kinderzimmer eines Shaky-Fans sah übrigens genauso furchterregend aus, wie man es sich schlimmstenfalls vorstellt: Kein Zentimeter Tapete war noch zwischen den Postern zu erahnen, eine rosa Shaky-Fahne zierte die Wand, der Bravo-Starschnitt in Lebensgröße, Cola-Knibbelbilder und Leitz-Ordner mit Zeitungsausschnitten. Und meine Shaky-Jeansjacke! Als es im Schreibwarenladen am Bahnhof Kugelschreiber mit Autogrammkarten gab, auf denen angeblich die originale Unterschrift von Shaky war, dachte ich nur: „Toll, wieviele Karten der unterschrieben hat. Und das hier ist ja nur das eine Geschäft!!“ Beseelt und stolz trug ich die Autogrammkarte nach Hause und meine Mutter war so nett, mir die Illusion nicht zu nehmen. Zu der Zeit glaubte ich auch noch an den Weihnachtsmann.

Was mich so berührte, kann ich bis heute nicht erklären, nur soviel steht fest: es sitzt tief! Wenn ich „I’ll Be Satisfied“ oder „You Drive Me Crazy“ höre, kann ich noch immer jede Textzeile mitsingen, begleitet von einem leichten Zucken in den Füßen. Ein wichtiges Ereignis fehlte stets in meiner jahrelangen Begeisterung: ein Livekonzert. Von Sechs bis Zwölf durfte ich noch nicht auf Konzerte gehen, in den Neunzigern verschwand er von den Bühnen, doch Ende 2004 dann die Ankündigung auf der neuen Shakin-Stevens-Website: 2005 – Konzerte in England! Ich habe etwa drei Sekunden überlegt, zwei Tage Urlaub genommen, ein paar mal geklickt, ein Ticket bestellt, den Flug gebucht – und so flog ich am 6. April 2005, vier Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag, nach London.

Der 6. April 2005, 20 Uhr: Ein ausverkauftes Sheperds-Bush-Empire, überwiegend Engländern, junge, ältere, schräge und normale. Das Licht geht aus, Spots an und die Band legt los. Um mich herum reißt das Publikum die Arme in die Luft und schreit:„Shaaaakyyy!“, ich stehe dazwischen und weiß nicht so recht wohin mit mir. Und dann betritt er die Bühne. Sichtbar gealtert, im Anzug und einem durchaus diskutablem Hemd, greift er sich den Mikrofonständer, schüttelt ein bisschen die Beine und fängt an zu singen. Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen und meinem Nacken aus, ein paar Tränen schießen mir in die Augen, ich denke: „Peinlich.“, und dann: „Aber egal, also los!!!“. Ich reiße die Arme hoch und stimme in die „Shaky!!“-Rufe mit ein, bin noch einmal sechs Jahre alt und einfach nur glücklich. Weitere London-Fotos

Wenn ich sage: „Es war großartige – er war großartig!“, bekomme ich oft ein mitleidiges oder überhebliches Lächeln geschenkt und im schlechtesten Fall beginnen herablassende musikalische Grundsatzdiskussionen. Schade, denn darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass Shakin‘ Stevens Musikgeschichte geschrieben hätte wie die Beatles. Er hat ein Stück meiner persönlichen Geschichte geschrieben. Und er hatte tatsächlich beachtlichen Erfolg, siehe Wikipedia , was mir allerdings nur wichtig war, damit es genug Zeitungsausschnitte gab, die ich sammeln konnte.

Nun stehen wieder ein paar England-Auftritte an. Ein Comeback in dem Sinne wird es nicht geben, der Rock’n’Roller geht inzwischen auf die Sechzig zu. Und doch ist es schön, dass er auf die Bühne zurückgekehrt ist – und mich das nachholen ließ, wovon ich vor 24 Jahren geträumt habe.

8 Stunden und 50 Minuten bis zum ersten Kaffee


Die Abendfütterung findet heute Abend im neueröffneten Golfino-Shop statt, wo nach und nach Hamburger und Hamburgerinnen über einen roten Teppich laufen und bei Saxofonmusik die heißersehnte Golfmode begutachten können. Und ganz nebenbei natürlich umsonst essen und trinken. Silke und ich begnügen uns mit den letzten beiden Programmpunken.
Ohne einen Schimmer von Golf stehen wir im Gang und versuchen uns unauffällig zu verhalten, was fast unmöglich ist, da wir den Altersdurchschnitt um 30 Jahre senken. Fast ver-senkt werde ich dann von einem sehr stark gebräunten,sehr gelb blondierten und sehr alten Herren in orangefarbenem Poloshirt – Verzeihung – Golfshirt und pinkfarbenem Sakko. Um besser an die Tabletts zu kommen, drückt er mich in die rosarote Winterkollektion. Hemmungslos, die Alten. Auf Parties mit jungen Schickies wird zwar genauso nach den Sushi-Röllchen gegiert, aber dort bleibt man mit spitzen Fingern cool und bewahrt die Contenance.
Zwischen ergrauten Hanseaten mit super Handicaps also wir zwei – die Nullen, die Nixblicker im Bereich Golf. Unsere Tarnung hält nicht lange. Als die Spendenaktion zugunsten sozial benachteiligter Kinder mit aufgebauter Golf-Spielwiese anläuft, fliegen wir auf. Fünf Euro Spende gegen dreimal „Putten“ oder per Playstation „Abschlagen“. Die nette Promotiondame kommt auf uns zu und fragt, ob wir auch mitspielen möchten, und während ich noch die Stirn in Falten lege, fragt Silke: „Mh, Abschlag, Putten … Putten ist doch das mit dem Einlochen, oder?“ Wundervoll. Vor Lachen spucke ich fast den Prosecco auf die rosa Cardigans. In meinem Leben habe ich noch nie auf einem Golfplatz gestanden und selbst beim Minigolf bin ich stets die Letzte. Die Balance zwischen Schub und Gefühl fehlt mir, da ist nur Schub. Und der landet meist im Gebüsch hinter der Bahn.
Eine gute Figur machen wir dann natürlich trotzdem. Und als uns jeweils so der Schläger in den Händen baumelt, tröstet uns der Gedanke, dass der Laden perfekt versichert sein muss. Die Wand direkt hinter der Bahn ist komplett verglast.

Nach Hause gehe ich zu Fuß durch den spät gewordenen Winterabend, hoch zum Gänsemarkt, an vielen Geschäften vorbei. Und dann steht da der Geiger. Einsam und bei minus drei Grad schwebt sein warmer Atem über die Geige in die kalte Luft der Fußgängerzone. Mir fällt erst später auf, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, ihm nen Euro in den Geigenkoffer zu legen, sondern darüber, warum er da steht? Um diese Uhrzeit, bei dieser Kälte, ohne Publikum. Seltsam.

Auf dem Foto: Hamburger Musikhalle, jetzt Laiszhalle, bei Nacht.

Song des Tages: Counting Crows, „Raining in Baltimore“

5 Tage bis die Füße atmen


Denn in der Tanzschule für Orientalischen Tanz, in die ich seit Kurzem gehe, können wir das. Mit den Füßen atmen. Okay, nicht direkt – wir bewegen sie beim Gehen so, wie wir unsere Bauchdecken bewegen – auf und ab, sanft und trotzdem kraftvoll.
Wenn man mir vor fünf Jahren erzählt hätte, dass ich mal Bauchtanz machen werde, hätte ich blass gelächelt. Hockey, Fußball und Kung Fu hießen meine Sportarten, und der mediterrane Typ bin ich schon mal gar nicht. Also Schublade auf: blonde Frauen, die nichts mit Orient am Hut haben, machen ausgerechnet Bauchtanz? War im Bachblüten-Kurs kein Platz mehr?
Dank meiner Freundin Jessica (www.calando.net) bin ich also eines Besseren belehrt worden und tanze nun diesen extrem kraftvollen und sinnlichen Tanz einmal in der Woche. Oder sagen wir so: Ich bin auf dem Wege, es zu lernen, denn das ist gar nicht so leicht. Eine weitere Schublade, die ich mit lässiger Hand wieder zuschubsen konnte: Die Teilnehmerinnen sind nicht Frauen Mitte 40 mit Nasensteckern, schlechten Haartönungen und Jutetaschen – sondern moderne, nette und jünger als Mitte 40. Ebenso wie Lehrerin Sylvianne, die eine sehr angenehme Art hat, zu erklären und zu motivieren. Auf verschleierte Klingelfee müssen wir im Unterricht nicht machen, normale Sportklamotten und Tücher ohne Geklöter sind angesagt.
Apropos Bauchtanz: auf dem Foto die wunderschöne Bucht in Bodrum, in der wir im Oktober waren. Auch dort wurde Bauch getanzt!

In der U-Bahn ging es heute hoch her, zumindest für Hamburger Verhältnisse: Es wurde laut geredet! Wer in dieser Stadt mal darauf achtet, wird feststellen, dass das bei Hamburgern so nicht vorkommt. Zumindest nicht unter 2 Promille. Der Gesprächsinhalt: Hamburger in Köln, Kölner in Hamburg. Sie aus Köln, er aus Hamburg.
Sie: „Hier gibt’s doch so ne Karnevalsparty, oder? Obwohl – ich glaube, ich könnte in Hamburg nicht zum Karneval gehen, da würde ich lieber nach Hause fahren.“
Er: „Jaaa, du meinst Lilabe! Das ist kein Karneval, das ist doch nur so’n … ach, auf jeden Fall kein richtiger Karneval.“
Sie: „Also in Hamburg Karneval feiern wäre für mich wie … wie … “
Er: „Wie rauchen in der Kirche!°

Lilabe ist kein Karneval. Da hat er wohl recht. Und wo ich heute schon mal bei dem Ding mit den Schubladen bin: Wer angemalt auf Partys mit „Fummelwiesen“ geht, Räume, in denen nur Matratzen im Zimmer liegen, und wo Bildreporter durch die Gegend laufen, um die nackteste Krankenschwester mit den dicksten Dingern abzulichten, der kann doch nicht ganz bei Trost sein. Ich war noch nie da. Aber hey – so stand es in der Bild.

Song des Tages: Ella Fitzgerald, „My funny Valentine“