Fast jeden Morgen steige ich auf mein klappriges Hollandrad und trete das schwache Gefährt langsam vorwärts. Und jeden Tag ist es anders. Mal geht im dritten Gang alles, mit Kraft und einem Tempo, welches Supermann aussehen lässt wie einen Nacktmull, flitze ich durch die Straßen, zwölf Minuten bis zur Arbeit ist Rekordzeit. Dann wieder ist alles sehr schleppend. Ab und zu drehe ich mich um, um sicher zu gehen, dass sich niemand heimlich auf meinem Gepäckträger niedergelassen hat und mir damit die Fahrt erschwert, dann schalte ich vom dritten in den zweiten Gang, um nicht plötzlich rückwärts zu fahren. Der erste funktioniert nicht. Und all die Anstrengungen auch nicht. Mit einem Gehwagen wäre ich schneller in Ottensen.
Programm ist, dass an solchen Tagen auch die Autofahrer besonders einzellig unterwegs sind. Beispiel: Ich fahre die Straße entlang. Auto kommt von rechts, hat also Vorfahrt. Ich verlangsame meine Fahrt, damit das Auto passieren kann. Autofahrer verlangsamt auch. Ich werde noch langsamer. Autofahrer bremst. Ich falle vom Sattel. Autofahrer winkt mich freundlich durch. Argh.
Weiteres Beispiel: Autofahrer fährt vor mir. Wird langsamer. Wird wieder schneller. Und langsamer. Ich überhole links. Auto schwenkt nach rechts aus. Bremst. Und gibt nach links fahrend wieder Gas, ohne sich umzudrehen. Annähernd hätte ich den Rest der Strecke auf einem Einrad bewältigen müssen, konnten der Außenspiegel und ich uns doch bereits in die Augen sehen. Argh II.
Song des Tages: Mariha, „Absolutely Entertaining“
Ich möchte Dein dargestelltes Rad-Schicksal in HH nicht schmälern. Im Gegenteil. Tiefe Betroffenheit nahm mich gefangen.
Als Verkehsteilnehmer mit der ständig neu gewählten, saisonal abhängigen Mobilitätshilfe eines Autos, eines Rollers, eines Rades und der nicht zu vergessenden beiden Füße, würde ich trotzdem gern aus meiner Heimatstadt erzählen. Dort wurden Altstadtgassen, die so eng sind, daß es sogar breitschultrigen Männern schwer gemacht wird voranzukommen, für den Auto- wie für den Radbetrieb freigegeben.
Nur – dies als Einbahnstrasse mit dem europaweit einzigartigen verkehrsrechtlichen Privileg für Radfahrer, jene engen Gassen in beiden Richtungen frei befahren können. Und dies ohne Hinweisschilder für Besucher auf vier Rädern aus anderen Galaxien. Dies führt regelmäßig zu Situationen, die ich rational der Chaostheorie zuordne. Emotional jedoch, aufgrund der Dichte der Erfahrungen, sehe ich mich fast wieder einer Religion angenähert, die das Beten an eine höhere Instanz als verkehrstechnisch notwendige Maßnahme versteht.
Es fehlt ein Komma und ein „zu“. Dies wollte ich nur nachtragen. Das kleine Eintragsfenster läßt imho abendlich nur wenige, lustvoll getätigte Endkorrekturen zu. Und unten wartet bereits die für mich äußerst stets unerotisch-drohende Eingabe von Begriffen wie „Gnmjpf“ oder „ujsgrza“.
Oh, ja, die Fahrradgeschichten – immer wieder Ärgernis und Erzählstoff zugleich. Und ohne sie hättest du mir wohl kaum den Abend versüßt mit dem sehr aparten Superman/Nacktmull-Vergleich … ;-))
@Matt:
Und ich möchte ergänzen, auch wenn man an meinem Verstand zweifeln mag: Ich finde Nacktmulle niedlich. Sie sehen aus wie frisch geschlüpfte Hamster, wie Haribo-Bärchen. Allerdings finde ich Vieles niedlich, was auch gleichzeitig Mitleid erregend ist.
@joshuatree:
Die Einbahn-Zweiradstraßen kenne ich gut. Nicht nur, dass man ständig Rückspiegel an den Ellenbogen hat, man muss sich auch noch das ein oder andere Mal anbrüllen lassen: „Das ist eine Einbahnstraße!!“ Hach, zum Verzweifeln.
Wenn ich mir erlauben darf zu fragen: Was ist Nacktmulle? Eine norddeutsche Spezialität?
Auf den ersten Blick dachte ich dabei an das, was das Michelin-Männchen umwickelt trägt…