Noch 5 Minuten

Und mir reißt die Hutschnur. So langsam wird es eng. Die Frau rechts von mir rückt näher und näher. Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen und mit einem komischen Funkeln in den Augen und einem Luftholen rattert sie los: Ob ich denn schon einen Diabetistest gemacht habe, das müsste ich doch unbedingt machen, sie hatte ja Schwangerschaftsdiabetis und-das-war-ja-gar-nicht- witzig-sie-konnte-ja-kaum-noch-etwas-essen-selbst-eine-Scheibe-Brot-war-eine-zuviel-und-sie-hat-sogar-abgenommen-in-den-letzten-Wochen.
Ich nicke mitleidig und zucke mit den Schultern, „Tja, das ist ja übel …“. Kaum davon erholt, schnattert es von links: „Weißt du denn schon in welches Krankenhaus du gehst?“ „Also ähm, ich …“ Und dann gibt die engagierte Fremde ihr Fachwissen in einem Vortrag über Dammschnittraten, Dammrisse, Saugglocken und Zangengeburten zum Besten. Meine Bionade rutscht ein Stück die Speiseröhre rauf. Als sie über die Horrorentbindung und den Beinahetod ihrer Cousine ansetzt, entschuldige ich mich Richtung Klo.

Menschen mit Krankheiten bekommen etwas, was sie noch weniger gebrauchen können, als einen zusätzlichen Bandscheibenvorfall: viele Geschichten von anderen Menschen mit Krankheiten. Schwangere scheinen bei anderen Schwangeren, Müttern oder einfach nur taktlosen Klugscheissern denselben Reflex auszulösen.
Da wird einem von Anfang an gepredigt: Du bist schwanger, nicht krank – und ich denke: Danke, ich weiß das. Aber warum die anderen nicht? Nach einem anfänglich verzückten „Oooh, wie schön – schwanger!“, und Routinefragen wie: „Welcher Monat, musst du kotzen, was wird es denn?“, geht es ans Eingemachte.

Da gibt es ein paar nette Anekdoten von Lähmungen durch falsch angesetzte Rückenmarksspritze hier, kleine Geschichten über knappe Kaiserschnitten dort, bis hin zu Abhandlungen über Schlafentzug, chronischem Zeitmangel und fettigen Haaren. Gekrönt von bedeutungsschweren Blicken, die sagen „Einfach ist das nicht.“ Ach wirklich? Ich dachte, ein Kind auf die Welt zu pressen, wäre entspannender als ne Thalassobehandlung. Und ich dachte auch, dass unser Baby mit zwei Wochen acht Stunden durchschläft, mit einem halben Jahr selbst aufs Klo geht und mit fünf meine Steuererklärung macht.
Mann – ich bin doch nicht blind und taub! Jeder, der sich mit dem Thema Kinder beschäftigt, weiß um den Stress, die Augenringe und die monothematischen Gespräche. Und natürlich gibt es tausend gute Gründe gegen Kinder. Es gibt aber auch tausend gute Gründe für Kinder. Aber einer Schwangeren, also wenn das Kind im wahrsten Sinne bereits in den Brunnen gefallen ist, von Horrorszenarien zu berichten, ist meines Erachtens völlig überflüssig.
Und dennoch möchten viele Menschen Schlechtes mitteilen, statt Gutes. Ist das spannender? Sind das Wichtigtuer? Oder haben sie tatsächlich nur Schlechtes zu berichten? Aber warum erzählen sie es dann ausgerechnet mir? Würde man einem Herzpatienten vor der Operation auch von Klappenversagen und Thrombosen erzählen?

Auch immer wieder gern ins Rennen geworfen – ein hämisches Lachen und den Satz: „Na, damit ist es dann ja vorbei.“ Klar wird sich alles verändern und erstmal einen Schritt zurücktreten müssen – Interessen, Hobbys, Freunde. Doch ich behaupte: es gibt einfach viele, denen das Pflegen von Interessen und Freunden schon vorher schwer gefallen ist. Die warten nur darauf, sich mit einem Seufzer der Erleichterung in dieses wattebequeme Klischee zu kuscheln und sich nie wieder mehr als zweihundert Meter vor die Haustür zu bewegen. Geht ja nicht – die Kinder! Wer sich schon immer für andere und nicht nur für sich selbst interessiert hat, wird auch einen Weg finden, weiterhin Freunde zu haben.

Und dann gibt es da zum Glück noch die anderen. Die, die selber Kinder haben, die natürlich gestresst sind, denen manche Dinge auch ab und an zuviel werden. Und die einem trotzdem sagen: „Wir wollen keinen Tag mit unseren Kindern mehr missen.“ Danke. Auch mal schön zu hören.

10 Gedanken zu „Noch 5 Minuten

  1. Anonymous sagt:

    Ach, da spricht mir ja jemand aus der Seele. Danke!

    Ich, selbst gerade in der 22.SSW, habe den link von Brittbee bekommen und musste gerade sehr grinsen.

    Bei „gut gemeinten“ Ratschlägen, Horrorgeschichten und Ähnlichem könnte ich zur Zeit nur auf den Tisch kotzen. Ich möchte ungefragt nichts dergleichen hören, aber ein Babybauch scheint die Leute zu ungeahnten Schwadronieranfällen zu animieren.

    Schön war z.B. dies von einer Kollegin: „Aaach, du isst Zitrusfrüchte? Naja, du musst es ja wissen. Meine Schwester hat das gemacht und jetzt hat die Kleine eine Zitrusallergie.“

    Meine Hebamme gab mir den weisen Rat, immer sofort zu bestätigen, dass man das natürlich alles tue bzw. unterlasse und sich artig für den guten Rat zu bedanken. Insbesondere wenn es dann mit den Fragen nach der Damm-Massage losgeht.

    Bei Horrorgeschichten werde ich allerdings mittlerweile latent aggressiv. Das ist einfach nur rücksichtslos.

    In diesem Sinne: Alles Gute und nicht ärgern lassen!

    kirschrot (eigentlich twoday, aber derzeit offline)

  2. Opa sagt:

    Rita, die Frau meines Bruders, in die ich als Kind unsterblich verliebt war, hat drei Mädchen und 6 Jungs zur Welt gebracht. Alle zu Hause und nur mit Hebamme. Sie hat sie alle ausgelacht, die ihr was erzählen wollten.

    Heute krabbeln ein paar Urenkel auf ihr herum. Es war nicht immer leicht, aber sie würde nicht ein einziges missen wollen.

  3. Julia Emma Schröder sagt:

    @ kirschrot/anonym: vielen dank, und zurück! 22. – dann ist dein termin auch ende oktober?

    ja, abnicken und links rein- und rechts rauslaufen zu lassen ist wahrscheinlich die sicherste methode, sich noch mehr mist anhören zu müssen. diskussionen wirken da ja leider oft belebend.

    und bei horrorgeschichten könnte man eigentlich auch mal mit der faust auf den tisch hauen und sagen, wie umöglich man das findet. aber dann heißt es sicher: oh, die hormone – sie hat stimmungsschwankungen. 🙂

    @ opa: vielen lieben dank! das ist ja unglaublich – neun kinder! toll! genau solche geschichten/beispiele meine ich im letzten absatz – die werden viel zu selten erzählt.

  4. Fräulein Wunder sagt:

    was für ein langer Text! hast du dich auch nicht überanstrengt? vielleicht solltest du das Bloggen erst mal lassen, nur zur Sicherheit. Nicht, dass du dich noch mehr aufregst. Du bist doch schwanger! 🙂

  5. Julia Emma Schröder sagt:

    @ blogschrift: danke für die besorgnis, aber wenn ich eins nie werde – ob mit oder ohne blog – dann ein unaufgeregter mensch. da muss der lütte durch. 🙂 und aufschreiben entspannt durchaus.

    @ monika: das klingt gut! sehr gut.

  6. Matt sagt:

    Hey, wenn das alles so übel, schwer und gefährlich wäre, dann würde der Homo sapiens wohl kaum seit mehreren Millionen Jahren auf diese Methode setzen. Sie scheint zu funktionieren. Natürlich auch bei dir, ist doch klar.

  7. Anonymous sagt:

    Hallo – ja, mein Termin ist am 22. Oktober. Wir scheinen ja ziemlich zeitgleich zu sein? Lustig.

    Ich wollte nicht so ein Schwangerschaftblog und ich hatte leider einen sehr unangenehmen Stalker, also habe ich mein Blog aufgegeben. Brittbee sagte: Lies mal dieses Blog, da schreibt eine sehr nett über ihre Schwangerschaft. Stimmt!

    Bloß nie erzählen, dass man es selbst anders macht bzw. diskutieren. Das bringt die erst richtig in Fahrt – und mich bis kurz unter die Decke… Und was die Horrorgeschichten angeht – da habe ich nun wirklich gerne Stimmungschwankungen. Das ist doch wirklich das Allerletzte.

    Wenn du Lust hast, kannst du mir mailen, das ist etwas privater: kirschrot at gmx punkt de.

    Liebe Grüße und weiter alles Gute!

  8. Joshuatree sagt:

    Ich wiederhole mich diesmal gerne. Warmes Öl auf den Bauch, gute Musik, Gesang – geniessen Sie Ihre eigene Schwangerschaft, Madame!

  9. Julia Emma Schröder sagt:

    @matt: ich denke auch, dass das vermehrte wissen um jede schwangerschaftskleinigkeit nicht in jedem fall konstruktiv ist.

    @kirschrot/anonym: gute idee – per mail also.

    @joshuatree: danke für die wiederholung! mach ich! in vollen zügen! 🙂

Schreibe einen Kommentar zu Fräulein Wunder Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert