Noch 1 Tag

Und es wird heiß, liebe Leute. Nicht dieser Quatsch von wegen gefühlte XY Grad, sondern echte, solide, piewarme 29-32 Grad Celsius. Überlegt Euch schon mal, wieviel man anziehen muss, um keine Anzeige am Hals zu haben und wie wenig, um keinen Schlag zu bekommen – und dann schmeißt den Grill an und lasst es Euch gut gehen!

3:1 für Deutschland – wir machen sie nackig!

Song des Tages: Cowboy Junkies, „Blue Moon Revisited (Song For Elvis)“

Nur eine Nacht

Wir liegen im Bett, es ist noch dunkel. Über das Kopfkissen fallen seine langen dunklen Haare. Ich habe Angst. „Muss das denn sein? Kannst du sie nicht verschonen?“ Mit halb geschlossenen Lidern antwortet er: „Du weißt, dass das nicht geht. Ich muss sie töten, sonst vergehe ich.“ , die Wände wispern sich seine sanfte Stimme im Echo zu. Dann schläft er ein.

Mit zittriger Hand schlage ich die Decke zurück und steige aus dem Bett, schleiche zur Treppe und setze mit klopfendem Herzen Stufe für Stufe meine Zehen auf das kühle Holz. Unten angekommen öffne ich die Zimmertür meiner Eltern. Sie schlafen ruhig während ich die Tür hinter mir schließe. „Mama, Papa, schnell, ihr müsst aufwachen! Wir müssen hier weg, sonst bringt er uns alle um!“ Im Schlafanzug springt meine Mutter mit offenen Augen aus dem Bett als wäre sie nie eingeschlafen, mein Vater schlägt die Decke zurück und hat seinen guten Anzug an, als wäre er gerade aus dem Büro gekommen. Vorsichtig drücke ich die Klinke herunter und spähe die Treppe hinauf. Nichts regt sich. Wir laufen in das Erdgeschoss, raus in die kalte Nachtluft, der Wind weht durch mein Shirt und streift mit eisigen Fingern über meine Haut, meine Poren ziehen sich zusammen. Dann sitzen wir im Auto.
Mein Vater steuert den Geländewagen über Baumwurzeln und Schlaglöcher, frierend sitzen meine Mutter und ich auf der Rückbank. „Papa, wir müssen zu Van Helsings Haus! Er ist der Einzige, bei dem wir sicher sind.“ Vorbei an schönen Holzhäusern rasen wir die Allee entlang, doch das letzte Haus ist schnell erreicht – wir sind zu weit gefahren. Meine Hände werden feucht, ich schaue ich aus dem Fenster über die Felder, mein Kopf schmerzt, in meinen Schläfen pocht es. Noch hat er uns nicht gefunden. Noch nicht. Staub fliegt durch die Luft als wir wenden und den Weg zurückfahren, doch wieder kommen wir am Ende der Allee an, ohne unser Ziel erreicht zu haben. „Ich verstehe das nicht, wo ist Van Helsings Haus?“

Wir halten an einem Marktplatz, inzwischen graut der Morgen und die Verkäufer packen emsig ihre Waren aus. Ich bin nass geschwitzt, halte die Hand meiner Mutter. Laut rauscht das Blut durch meine Adern und durch die Flut hindurch vernehme ich seine ruhige, warme und gleichzeitig bedrohliche Stimme. Was er flüstert, kann ich kann nicht verstehen, doch mein Blick saugt sich durch die Menge direkt in seine Augen. Eingehüllt in einen langen schwarzen Umhang steht er zwischen den umherlaufenden Menschen, den Mund leicht geöffnet, die scharfen Eckzähne nun sichtbar, seine Haare wehen im Wind. Seine Lippen bewegen sich nicht, aber ich kann ihn hören: „Versuche nicht vor mir wegzulaufen.“ Er reckt den Kopf gen Himmel und schnüffelt, während er einen Fuß vor den anderen setzt. Mein Blut! Er kann mich riechen! Ich schreie meinen Vater an: „Fahr los!! Schnell!“ Und während wir davonrasen, greife ich zum Benzinkanister und schraube ihn auf: „Hier, wir müssen uns damit einreiben, sonst riecht er uns.“ Meine Mutter und ich streichen das stechend riechende Benzin über Hals, Gesicht und Arme, es brennt, und die Haut fängt an, sich zu spannen. An einem Gasthaus halten wir.

Das Gasthaus steht auf Pfählen, und als wir die Treppe hochlaufen und eintreten, bietet sich uns ein seltsames Bild. Es stehen nur zwei lange helle Tische mit Bänken im Raum, an denen viele Menschen in Gruppen sitzen, ein paar einzelne dazwischen, die isoliert zu sein scheinen. Ich frage den Wirt, was mit den Menschen ist, die so allein dort sitzen. „Vampire sind das. Mit denen möchte niemand etwas zu tun haben. Aber hier im Gasthaus sind sie ungefährlich.“ In dem Moment gellt ein spitzer Schrei durch den Raum, ein männlicher Gast ist aus dem großen geöffneten Fenster gefallen und liegt nun seltsam verrenkt am Fuße eines Pfahles. Die Isolierten heben den Kopf und fangen an zu schnüffeln. Übermut überkommt mich, ich schlendere zu einem besonders nervösen Vampir an das andere Ende des Tisches und stelle mich hinter ihn. Immer wieder schlage ich ihm mit meiner flachen Hand leicht gegen den Hinterkopf: „Na? Worauf wartest Du? Das Büffet ist eröffnet!“

In diesem Moment bin ich aufgewacht, weil mein Wecker klingelte.
Fix und fertig rollte ich mich aus dem Bett und schwor mir, keine Seite mehr in diesem Buch zu lesen. Ich mag Vampirfilme, mich fasziniert dieses Thema, aber für eine Abendlektüre ist mein Nervenkostüm anscheinend zu schwach – und meine Fantasie zu rege. Wer es trotzdem ausprobieren möchte: Tom Holland, „Die Botschaft des Vampirs“ Keine Ahnung, ob das Buch gut ist, ich bin nur bis Seite 40 gekommen.

Song des Tages: The Goo Goo Dolls, „Iris“

Noch 12 Tage

Dann ist die WM vorbei. Das wird für viele eine bittere Zeit. Zeit, die Freunde wieder auszuquartieren, den Terminkalender wegzuwerfen, den Biervorrat schrumpfen zu lassen – es gibt ja keinen triftigen Grund mehr für all das.

Was gibt es im Bereich der seichten Unterhalten in dieser noch jungen Woche zu berichten? Nicht viel, außer dass

a) ich nicht traurig bin, dass die Holländer rausgeflogen sind. Als noch Typen wie Davids und Kluivert und natürlich Ruud Gullit für die Oranjes kickten, musste ich meine Begeisterung zwischen Deutschland und Holland teilen. Nun hat sich diese komische Mannschaft ins Aus getreten – im wahrsten Sinne des Wortes. Wer Brutalität an den Tag legt, fliegt raus, das ist nur gerecht. Obwohl die Portugiesen in diesem Punkt leider ganz gut nachgezogen haben.

b) Paris Hilton in James Blunt verknallt ist: „Ich liebe James Blunt. Er war mal Soldat, das ist ziemlich heiß.“ Wenn Hohlbratzen reden, ist es manchmal unterhaltsam. Manchmal aber auch so dumm, dass es wehtut.

c) Naomi Campbell wieder zugeschlagen hat – die leicht Erzürnbare hat einem Dienstmädchen einen noch unbekannten Gegenstand über den Hinterkopf gezogen, weil die Hausangestellte eine schwarze Designerjeans nicht finden konnte. Ist Amerika nicht das Land der Millionenentschädigungen? Dann wäre Campbell ja eine sichere Bank für schnellen Reichtum. Vielleicht sollte ich mich mal bewerben. Und ein bisschen doof anstellen.

Brückentarot

Diese S-Bahnbrücke, unter der ich jeden Tag durchradel, hat immer mal wieder etwas Neues auf Lager.
Beinahecrashs mit entgegenkommenden halbblinden Radfahrern stehen auf der Tagesordnung, und ab und zu gibt es noch ein Highlight obendrauf: Männer in Schutzanzügen mit Spritzpistolen, die die Pfeiler bearbeiten – was an Szenen aus meinem heißgeliebten Film Ghostbusters erinnert. Ein lethargischer Vogel am Wegesrand, genau zu der Zeit, als die Vogelpest durch alle Medien fliegt. Die alte Frau, die jeden Dienstag rechts von der Brücke steht – ich habe nie gesehen, wer sie dort abholt. Der unausweichbare, hoffentlich Glück bringende Vogelschiss von oben. Und heute – ein schwarzer BH von links. Mitten auf dem Weg lag er herum, ein bisschen traurig und verdreht. Ob das etwas zu bedeuten hat – wie schwarze Katze von rechts? Und wer hat ihn dort verloren? Wie kann man einen BH überhaupt verlieren? Vermisst die Trägerin oder der Träger ihn? Fühlt er oder sie sich befreit? Oder hatte jemand vor ein paar Stunden eventuell noch heißen Sex unter der Brücke und im Eifer des Gefechts den BH liegen gelassen? Vielleicht eine geheime Affäre, die jetzt auffliegt, weil sie ohne BH nach Hause gekommen ist …

Song des Tages: Erdmöbel, „Genau wie ich es mir wünsche“

Noch 5 Minuten

Und mir reißt die Hutschnur. So langsam wird es eng. Die Frau rechts von mir rückt näher und näher. Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen und mit einem komischen Funkeln in den Augen und einem Luftholen rattert sie los: Ob ich denn schon einen Diabetistest gemacht habe, das müsste ich doch unbedingt machen, sie hatte ja Schwangerschaftsdiabetis und-das-war-ja-gar-nicht- witzig-sie-konnte-ja-kaum-noch-etwas-essen-selbst-eine-Scheibe-Brot-war-eine-zuviel-und-sie-hat-sogar-abgenommen-in-den-letzten-Wochen.
Ich nicke mitleidig und zucke mit den Schultern, „Tja, das ist ja übel …“. Kaum davon erholt, schnattert es von links: „Weißt du denn schon in welches Krankenhaus du gehst?“ „Also ähm, ich …“ Und dann gibt die engagierte Fremde ihr Fachwissen in einem Vortrag über Dammschnittraten, Dammrisse, Saugglocken und Zangengeburten zum Besten. Meine Bionade rutscht ein Stück die Speiseröhre rauf. Als sie über die Horrorentbindung und den Beinahetod ihrer Cousine ansetzt, entschuldige ich mich Richtung Klo.

Menschen mit Krankheiten bekommen etwas, was sie noch weniger gebrauchen können, als einen zusätzlichen Bandscheibenvorfall: viele Geschichten von anderen Menschen mit Krankheiten. Schwangere scheinen bei anderen Schwangeren, Müttern oder einfach nur taktlosen Klugscheissern denselben Reflex auszulösen.
Da wird einem von Anfang an gepredigt: Du bist schwanger, nicht krank – und ich denke: Danke, ich weiß das. Aber warum die anderen nicht? Nach einem anfänglich verzückten „Oooh, wie schön – schwanger!“, und Routinefragen wie: „Welcher Monat, musst du kotzen, was wird es denn?“, geht es ans Eingemachte.

Da gibt es ein paar nette Anekdoten von Lähmungen durch falsch angesetzte Rückenmarksspritze hier, kleine Geschichten über knappe Kaiserschnitten dort, bis hin zu Abhandlungen über Schlafentzug, chronischem Zeitmangel und fettigen Haaren. Gekrönt von bedeutungsschweren Blicken, die sagen „Einfach ist das nicht.“ Ach wirklich? Ich dachte, ein Kind auf die Welt zu pressen, wäre entspannender als ne Thalassobehandlung. Und ich dachte auch, dass unser Baby mit zwei Wochen acht Stunden durchschläft, mit einem halben Jahr selbst aufs Klo geht und mit fünf meine Steuererklärung macht.
Mann – ich bin doch nicht blind und taub! Jeder, der sich mit dem Thema Kinder beschäftigt, weiß um den Stress, die Augenringe und die monothematischen Gespräche. Und natürlich gibt es tausend gute Gründe gegen Kinder. Es gibt aber auch tausend gute Gründe für Kinder. Aber einer Schwangeren, also wenn das Kind im wahrsten Sinne bereits in den Brunnen gefallen ist, von Horrorszenarien zu berichten, ist meines Erachtens völlig überflüssig.
Und dennoch möchten viele Menschen Schlechtes mitteilen, statt Gutes. Ist das spannender? Sind das Wichtigtuer? Oder haben sie tatsächlich nur Schlechtes zu berichten? Aber warum erzählen sie es dann ausgerechnet mir? Würde man einem Herzpatienten vor der Operation auch von Klappenversagen und Thrombosen erzählen?

Auch immer wieder gern ins Rennen geworfen – ein hämisches Lachen und den Satz: „Na, damit ist es dann ja vorbei.“ Klar wird sich alles verändern und erstmal einen Schritt zurücktreten müssen – Interessen, Hobbys, Freunde. Doch ich behaupte: es gibt einfach viele, denen das Pflegen von Interessen und Freunden schon vorher schwer gefallen ist. Die warten nur darauf, sich mit einem Seufzer der Erleichterung in dieses wattebequeme Klischee zu kuscheln und sich nie wieder mehr als zweihundert Meter vor die Haustür zu bewegen. Geht ja nicht – die Kinder! Wer sich schon immer für andere und nicht nur für sich selbst interessiert hat, wird auch einen Weg finden, weiterhin Freunde zu haben.

Und dann gibt es da zum Glück noch die anderen. Die, die selber Kinder haben, die natürlich gestresst sind, denen manche Dinge auch ab und an zuviel werden. Und die einem trotzdem sagen: „Wir wollen keinen Tag mit unseren Kindern mehr missen.“ Danke. Auch mal schön zu hören.

2 Tage vorher

war ich tatsächlich zu träge und faulgeheizt von den Temperaturen. Nun geht es natürlich weiter – schnell, bevor der Montag mit 29 Grad wieder auf den Kopf schlägt!

Song des Tages: Billie Holiday, „Body and Soul“

Es schmilzt!

Das Eis, die Hirnzellen, der Stift in meiner Hand.
Unmöglich, sich nun auch noch nach Feierabend vor den Computer zu setzen – er erzeugt zuviel Wärme. Warten wir das Mittwochgewitter ab, dann geht es weiter.
Genießt die Sonne!

7 Stunden

bis zum Anpfiff! 3:1 für Deutschland – ich bin Optimist! Wir schaffen das!!

Sonniges und ledriges Wochenende Euch allen!

Nachbarschaftsgeschichten folgen morgen.

Die buckelige Nachbarschaft / Vorwort

Die einen sind so still, dass man froh ist, sie hin und wieder im Treppenhaus zu sehen, bevor es im selbigen süßlich riecht. Die anderen sind nicht zu überhören und bieten vielerlei Gründe mehr, warum man sie nicht ignorieren kann. Da ich Umzugsprofi bin, allein in Hamburg elf Mal in zwölf Jahren meinen Übernachtunsstandort gewechselt habe, kann ich von vielerlei buntem Nachbarschaftsgedönsel erzählen.
Beginne ich bei meiner ersten Station, der Walddörferstraße in Hamburg-Hinschenfelde. Wie eine Zwanzigjährige in diese beschissen langweilige Gegend ziehen kann? Bezahlbar. Und zu kriegen. Das waren zu diesem Zeitpunkt zwei unschlagbare Argumente.

Die Walddörferstraße zeichnet sich dadurch aus, dass sie zwar nur zweispurig ist, doch leider viel von dem Verkehr, der parallel über die B75 donnert, mitträgt. Wer nicht mit 70 Sachen durchheizt, sondern mit 100 und lautem Getüte, ist ein Krankenwagen, und der muss das Krankenhaus am anderen Ende erreichen. Etwa drei bis fünf Mal in 24 Stunden.

Warum ich dank meines Nachbarn eines Tages einen großen Schäferhund in meinem Wohnzimmer in der Walddörferstraße beherbergte, mich an einem anderen Tag mit genau diesem Schäferhund etwa zwanzig Minuten auf dem Hausflur sitzend durch eine Wohnungstür hindurch unterhielt, nachts um ein Uhr mit einem riesigen Geländewagen einem Polizeiwagen folgen musste, die halbe Nacht auf der Wache verbrachte und ein Polizist tausend Mark von mir verlangte – dazu in den nächsten Tagen mehr.

Song des Tages: Foo Fighters, „Hero“