Ich habe ein paar schlechte Eigenschaften. Schokoladensucht, Schlampigkeit und Trödelei mal beiseite gelassen. Ich bin schadenfroh. Nicht in dem Sinne schadenfroh, dass meine dunkle Charakterseite fratzenartige Lachanfälle bekommt, wenn ein Kind mit seinem Dreirad vor ne Mauer fährt oder ein altes Mütterchen seinen Gehwagen schrottet – ich bin angewidert begeistert von Menschen, die sich offenen Auges in die komischsten Situationen begeben. Wie ich in diesem Moment darauf komme? Es ist mal wieder Marathon in Hamburg.
Zwei Nachteile hat die Lage unserer Wohnung in dieser Zeit – man muss dankbar sein, sein Auto im Umkreis von 10 Kilometern zu parken, und einen Ausflug an diesem sonnig gesprenkelten Sonntag kann man getrost vergessen.
Der Vorteil: Der Zieleinlauf ist direkt vor unserer Haustür. Und so werde ich in etwa drei bis vier Stunden nach unten gehen, durch drei Reihen Zuschauer drängeln – man macht kleinen Menschen lieber Platz als großen – und mich an dem grotesken Schauspiel ergötzen, welches stolpernd, schlurfend, humpelnd und wankend an mir vorbeizieht.
Ein Zwiespalt tut sich auf – zieht das Gemeine in mir auf der einen Seite den Hut vor Menschen, die mit 1,70 Metern Länge und Breite rotgesichtig und mit verschwommenem Blick nach fast sechs Stunden Richtung Zielgerade taumeln, so schüttelt es auf der anderen Seite unverständig amüsiert den Kopf, wenn ich dieses Spektakel des medizinischen Wahnsinns betrachte. An weichgeleierte Bänder, überpumpte Herzmuskel, aufgepeitschte Pulsfrequenz und ausgelutschte Sauerstoffsättigung muss ich denken und bin der Überzeugung: Gesund ist das nicht! Und trotzdem gucke ich mit einer ebenso kranken Faszination zu, wie sie ohne Schuhe, fast rückwärts gehend und auf allen Vieren ihre massigen, ausgemergelten oder schiefen Körper durch die letzten Meter schieben.
Sendungen wie „Die zehn schrillsten Auftritte bei DSDS“ sehe ich ebenso gern. Ans Umschalten denke ich mit belustigter Fassungslosigkeit keine Sekunde. Fremdschämen kann Spaß machen. Bei mir geht es sogar so weit, dass ich dasitze und schallend lache, wenn Peter aus Arnsberg Guns-N’Roses-Balladen nuschelt oder Ursula aus Bruchköbel Sarah Connor quiekt. Auf welchem Niveau ich mich damit befinde – das ist mir durchaus bewusst. Und nett ist es natürlich auch nicht. Aber wer ist schon immer nett?
Ich nicht. Und nachdem mir früher mehrfach lächelnd gesagt wurde, ich sei so unglaublich, ja beinahe ZU nett, was zugleich aber bedeutete, dass ich meine eigentlichen Wünsche, Lüste etc. begraben durfte, ist „nett sein“ auch keins meiner allervordersten Ziele mehr, auch wenn ich angenehmen, unkomplizierten Kontakt immer noch sehr schätze. 🙂
Ich auch. Und doch muss man mit dem Nettsein wirklich dosiert umgehen. Wie ein Freund mal so schön treffend anbrachte: „Pass mal auf, ich bin nett, aber ich bin nicht doof.“
Im Gegensatz zu Wikipedia halte ich Schadenfreude für ein evolutionäres Verhalten, was durch die „gängige“ Sozialisierung und durch erfolgreiche Formate mancher Privatsender durchaus bestätigt wird.
Ich halte mich übrigens nicht für schadenfroh. Und nicht einmal für intelligent.
Intelligenz ist in meinen Augen eh eine Definitionssache, und es gibt viele verschiedene Arten von Intelligenz … darüber kann man sich wochenlang unterhalten und auseinandersetzen.
Ich glaube, schadenfroh waren die Menschen schon immer – bestimmt auch vor 200 Jahren, ohne irgendeinen Sender.