Als wäre es nicht schon verrückt genug, zu jemandem ins Auto zu steigen, den man überhaupt nicht kennt. Mit dem man noch keine zwei Sätze gesprochen hat. Und doch sieht man den Menschen hinterm Steuer des beige-gelben Autos als Retter in der müden Nacht, als Zuflucht vor der lauten Straße, als sicheren Begleiter Richtung Zuhause.
Vor fünf Minuten war ich noch Zuhörer eines Lyrikvortrages. Ein Dichter, ein Musiker, ein Schauspieler brachte mich in die Zielstraße. Hätte ich zwei Gläser Wein mehr intus gehabt, wäre ich entweder ob der einlullenden wohlklingenden Worte eingeschlafen oder in albernes Gegacker ausgebrochen. Ganz ernsthaft – ich habe soeben für 22 Euro drei Gedichte und Biografieauszüge von 1966 genießen dürfen, sechsfach ausgesprochene Buchempfehlung inklusive. Wahrscheinlich ist er einer, der nach zu vielen schrägen Fahrgästen beschloss, in die Offensive zu gehen: Bevor mich einer vollquatscht, rede ich! Und zwar ohne Luft zu holen.
Dabei war ich bisher stets ein harmloser Fahrgast. Schluckauf, leises Schnarchen, seltsame Gesprächsversuche („War Taxifahrer schon immer Ihr Traumberuf?“), eisiges Schweigen, unterdrücktes Schluchzen, hysterisches Gelächter, hymnisches Singen – für echte Taxifahrer Erdnüsse.
Eine Totalreinigung, kein Geld, keine Ahnung – das musste noch niemand mit mir durchmachen.
Die, die kein Radio anhaben und selbst bei Gesprächsversuchen („Ganz schön kalt geworden …“) schweigen, die sind mir am unangenehmsten. Da starrt man dann geschlagene dreißig Minuten aus dem Fenster und wühlt in Gegenwart eines Fremden in seinen Gedanken.
Und dann gab es da noch den, mit dem ich mich so angeregt unterhielt, dass er versehentlich zur falschen U-Bahn-Station fuhr. Oder der Jazzmusiker aus Amerika, der mich morgens um 5 Uhr zum Flughafen kutschierte, der Inder, der seit Jahren davon träumte, mehr Geld zu verdienen und nachts mehr bei seiner Familie zu sein, die nette Frau in Berlin, die das Taxameter ausstellte, bis wir unser Restaurant gefunden hatten – und heute nun die Krönung: Goethe und Ringelnatz in Persona.
Hat nicht jeder seine Taxigeschichte? Und hat nicht jeder Taxifahrer eine Geschichte?