Weit entfernt

Stelle ich eine tief verwurzelte Abneigung gegen gewisse Dinge fest, versuche ich oft nachzuvollziehen, woher diese stammen könnte. Hat meine Mutter mich als Baby bei Vollmondnächten unter Trauerweiden gelegt und Wurzeln ausgegraben – war das gar nicht die Babygymnastik, sondern Neo-Feng-Shui? Eigentlich bin ich mir sicher, dass sie mit so etwas nichts am Hut hatte.

Doch woher kommt dann die langsam durch meine Poren kriechende Abneigung, sobald etwas esoterisch wird? Dabei bin ich recht paradox unterwegs, bin ich doch jemand, der alterantiven Heilmethoden oder übersinnlichen Dingen nicht überheblich gegenüber steht. Zu der Gruppe Menschen, die nur das glauben, was sie sehen, gehöre ich wahrhaftig nicht, und ich bin der Überzeugung, dass Menschen mit einer starken Selbstüberschätzung durch die Welt gehen, wenn sie meinen, dass es bestimmte Dinge nicht geben kann, nur weil wir sie wissenschaftlich nicht erklären können.
Das hieße, dass der Mensch bereits alles erfasst hat auf der Welt – und daran glaube ich wiederum nicht. Ich denke, dass es noch unendlich viele Sachen zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können, weil wir (noch) nicht über die geistigen und wissenschaftlichen Möglichkeiten verfügen.

Also – ich bin nicht wirklich intolerant, was dieses Themengebiet angeht. Und doch sitze ich in Yogakursen, höre die einschläfernde Stimme der Lehrerin, wie sie uns zum Singen animiert, dann schließen alle die Augen, lächeln milde und trällern: „May the long time sun shine upon you …“ Und ich komme mir doof vor. Dabei singe ich für mein Leben gern. Liegt vielleicht an mir, nicht an der Sache, aber ich finde das albern.

Yoga an sich finde ich nicht albern, den Sinn und Zweck kann ich gut nachvollziehen – aber dieses Gesinge und Esogehabe drumherum – da bekomme ich Gänsehautentzündung. Da bin ich kurz davor, loszugiggeln wie eine Fünfzehnjährige, verdrehe innerlich die Augen und denke „Haben wir’s denn bald?“. Die Gäule gehen mit mir durch und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn jetzt einer aufspringt, Luftgitarre spielt und „Highway to hell“ losgröhlt. Ja, ich weiß – kindisch, der Sache nicht entsprechend – aber ich kann nicht anders.

Warum müssen Menschen aus solchen Bereichen – Yoga, Esoterik, Selbstfindung, gern auch aus pädagogischen Bereichen, nur oft so salbungsvolle Stimmen und Stimmungen haben? In meinem Lieblingssport Kung Fu, wird auch viel Wert auf mentale Schulung gelegt, aber anders. Fragt man mich während einer Yogastunde mit leiser Singsangstimme: „Und wenn du jetzt ganz tief in dich gehst – was fühlst du dann?“, möchte ich antworten: „In meiner Hüfte zieht es“.
Neulich habe ich eine Anzeige gelesen: „Yoga ohne Esoterik“ – ich glaube, das probiere ich mal. Oder doch wieder Kung Fu.

12 Gedanken zu „Weit entfernt

  1. Alexander sagt:

    Sehr schön, Sie sprechen mir aus der Seele. Ich habe Yoga jahrelang als albernes und vor allem esoterisches Gehampel abgetan — nicht zuletzt, weil meine esoterisch mehr als angehauchte Mutter das praktizierte.

    Vor zwei Jahren habe ich selbst damit angefangen und gemerkt, dass die Übungen absolut nicht albern sind und ganz im Gegenteil sehr gut tun (wenn der Schmerz nachlässt).

    Die Lehrerin weiß auch, dass sie mit der Esoterik bei unserer Gruppe (immerhin „Betriebssport Yoga“) leicht fehl am Platze wäre, sodass sie die spirituelle Komponente auf ein Minimum beschränkt.

    Gäb es gemeinsames Singen und fragen nach dem „Wie fühlst Du Dich“, hätte ich schon längst reißaus genommen.

  2. Joshuatree sagt:

    „Das hieße, dass der Mensch bereits alles erfasst hat auf der Welt – und daran glaube ich wiederum nicht. Ich denke, dass es noch unendlich viele Sachen zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können, weil wir (noch) nicht über die geistigen und wissenschaftlichen Möglichkeiten verfügen.“

    So unspektakulär sehe ich das auch. Esoterik ist ein unglaublich schwammiger Begriff, unter dessen Dach sich mittlerweile viele ernsthafte, spannende Dinge(z.B. buddhistisches Wissen und Anwendungen) und auch viele unseriöse „Anbieter“ tummeln. In der Zwischenzeit des normalen menschlichen Unwissens, tut Tai Chi oder Tantra o.ä. also sicher nicht weh, wenn es gefällt. Und keine leicht-seichten Lalilaunebär-Melodien dazu gepfiffen werden.

    Jetzt hab ich wieder zu lange geplaudert, verdammte Differenzierungen aber auch :-).

  3. Julia Emma Schröder sagt:

    @alexander: genau deshalb habe ich diese art yogakurse nie zu ende gebracht.

    @opa: ich habe leider aus zeitmangel schon vorher aufgehört, aber wenn ich mir das so angucke, hat junior bereits jetzt talent – er übt zumindest ordentlich!

    @joshuatree: genau so.

    @fräulein wunder: oh ja – und „jute statt plastik“-taschen. 🙂

  4. ac sagt:

    also, das ist ja der hammer, da surfe ich hier auf der helsinkinischen couch rueber zur spreepiratin und stosse auf deinen blog. habe auch grad mit bauchtanz begonnen und am sonntag meine erste bikram-yoga stunde und auch schon angst, dass bei mir die „bullshit-lampe“ angeht, wenn alle um mich rum „ommen“..

  5. brittbee sagt:

    Irgendwo in Portugal, mitten in einer verwinkelten, schattigen Gasse, fiel mir ein, daß ich gar nicht weiß, wann denn hier eigentlich genau mit Nachwuchs zu rechnen ist. Das lange Schweigen scheint mir eine Antwort zu sein.

    Wie auch immer, ich fiebere mit und freue mich auch news.

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