Schweigen und Pöbeln

Es ist erstaunlich, was man in einem kleinen Ostseeort so alles beobachten kann – und da sag noch einmal jemand, dort würde der Hund tot überm Zaun hängen. Allein die räumliche Einschränkung auf tutiges Caféhaus am Strand, Fischküche am Hafen und Minigolfplatz im Kurpark lässt einen näher zusammenrücken und Dinge hören und sehen, denen man in einer Großstadt perfekt aus dem Weg gehen kann. So pöbelt sich ein Familienvater durch 17 Bahnen Minigolf. Schnurrbart, Brille, Bierbauch, Jeans hochgezogen bis zum Bauchnabel, um sie dort mit einem schmiedeeisernen Gürtel zusammenzuhalten. Seine Frau sitzt mit rot geönten Haaren schweigend daneben, lächelt ab und zu unsicher, die Töchter üben sich derweil im Nachpöbeln: „Maaahaaan, bissu blöd, oder was?“ „Ey – sach nich blöd zu mir, klar? Dieser Scheissball muss hier doch ma reingehn!“ Haut daneben. „Boaaaah, du blödes Miststück!“ Gemeint war der Ball. Dieses Mal.

Und dann ein Paar, das es schafft, 30 Minuten vor einem Bier zu sitzen und nichts (!) zu sagen. Schweigen. Nullo. Nix. Sie gucken sich noch nicht einmal liebevoll an, zupfen nicht an ihren Bermudas oder rücken ihren Sonnenhut zurecht. Sie machen nichts. Sie bewegen sich auf minimalem Niveau, um ab und zu das Glas anzuheben und Minischlückchen davon zu nehmen. Man könnte meinen, sie möchten sich so lange wie möglich an diesem Bier abarbeiten, damit sie einen Grund haben, nicht aufstehen zu müssen. Das könnte Konversation bedeuten. Eigentlich wundert es mich, dass sie sich nicht so schnell wie möglich mehrere Herrengedecke hintereinander reinziehen – das würde vielleicht etwas Schwung in die Sache bringen. Kurz überlege ich, ob ich ihnen diesen in meinen Augen durchaus praktischen Tipp mit in den Tag gebe. Und lasse es bleiben.

Song des Tages: hab ich heute noch nicht gehört

6 Gedanken zu „Schweigen und Pöbeln

  1. nömix sagt:

    Schlimm, ja, solche Paare die sich beharrlich anschweigen. Deren Schweigen kann sogar den Gästen am Nebentisch aufs Gemüt schlagen. Bin mit meiner Frau mal neben solchen Leuten gesessen, bis es nimmer zum aushalten war. Als ich aufs Klo ging sagte ich im Vorübergehen zu der Frau am Nebentisch „Hübsche Halskette haben Sie“, daraufhin hatten die beiden was zu bereden. Und meine Frau und ich konnten uns ebenfalls entspannen.

  2. Julia Emma Schröder sagt:

    rationalstürmer – die sahen gar nicht heilig aus. die pater im kartäuser-orden gehen übrigens um 19 Uhr ins bett, stehen um 22:40 Uhr wieder auf, beten und schweigen, gehen um etwa 1:40 wieder ins Bett und stehen um 5:40 Uhr wieder auf. Da kann man ja nur saufen.

    nömix – man hat ja auch immer das gefühl, die belauschen einen.
    wahrscheinlich hat der mann seiner frau durch das kompliment nach 15 jahren das erste mal wieder auf den hals geguckt.

  3. schluesselkind sagt:

    Sehr treffend beschrieben. Und sie belauschen einen tatsächlich. Wir saßen mehrere Abende hintereinander inmitten von Tischen mit schweigenden Paaren und gaben da ungewollt die Entertainer. Ganz furchtbar.

  4. Joshuatree sagt:

    Imho – das Schweigen ist nur eine Variante. Es gibt auch die Variante, daß ein Partner ständig redet und der andere gar nichts sagt und später nicht einmal mehr zu einem Kopfnicken bereit ist ;-).

    Kommunikation hat tatsächlich viele Varianten …

    Ich erlaube mir, einen Buchtipp zum Thema zu geben: „Die Wahrheit beginnt zu zweit“ ISBN: 3499603799.

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