Ich bin zu alt für diese Scheiße. Ich bin zu nüchtern für diese Scheiße. Schlammacker so weit die Schnapsflasche fliegt, Herden von stinkbesoffenen Menschen mit schlechten Witzen am Körper wie Lockenperücken, Urinbeuteln oder T-Shirts mit Sprüchen. Auf einem Schild an einem Stand: „Mann mit Pferdeschwanz gesucht. Frisur egal.“ Zwei Drittel der Mädels und Jungs scheinen knapp volljährig zu sein und haben es schon zu Bierbauch oder Weinwanne gebracht. „Mein Gott, sind die fett und voll, wie kann man denn hier barfuß herumlaufen?“ „Das haben wir vor zehn Jahren auch so gemacht. Vollaufen lassen und irgendwann die Schuhe ausgezogen.“ „Ach ja. Stimmt. Aber der Bierbauch, der kam erst später.“
Incubus spielen, dass man am liebsten herausbrüllen möchte, wie geil diese Band doch ist! Ich stelle fest, dass mir Sänger Brandon Boyd fast zu schön ist. Um uns herum – 60 000 oder sind es doch 80 000 Menschen? Auf einer Fläche, die nur geringfügig vergrößert wurde, die früher mit 14 000 Menschen angenehm gefüllt war. Wir stehen 150 Meter entfernt von der Bühne, nach vorne ist kein Durchkommen, Wellenbrecher schützen vor Massenquetsche und etwas einfältig dreinguckende Securitymänner lassen nur vereinzelt durch eine Gasse Richtung Bühne. Weil alle ganz nah ran wollen, erdrücken sich die Leute vor dieser Schranke fast. Aber wichtig, wichtig – immer nur ein paar dürfen durch. Als Fußvolk hat man den Eindruck, dass die VIP-Bändchen durchmarschieren, Reihe 1-29 besetzen und der Rest muss leider ab der dreißigsten Reihe Platz nehmen. Ohne Knochenbrüche und Hautkrankheiten also keine Chance, ein wirkliches Konzerterlebnis zu spüren.
Videoleinwände haben wir dafür. Damit man sicher sein kann, dass die Punkte auf der Bühne keine Coverband sind.
Ich stelle fest, dass mir Brandon Boyd doch nicht zu schön ist. Dann fallen die Leinwände aus. Wir prügeln uns durch die Reihen, um zur dritten Wand im hinteren Bereich zu kommen. Dort stehen wir fröstelnd im Schlamm – und gucken Video.
Es frustet mich zutiefst, wenn ich bei einer meiner Lieblingsbands nicht in der Menge sein kann, nicht springen, singen und vor allem was sehen kann. Wir gehen. Marilyn Manson muss ohne uns zurechtkommen.
Oha, das klingt ja nach einer echten Massenveranstaltung.
Da lobe ich mir doch Festivals, die aktuell noch etwas kleiner ausfallen (Wacken zum Beispiel). Da ist man irgendwie „unter sich“. Jedenfalls als ich letztes mal da war.
Wenn die geneigte Schreiberin vielleicht so abenteuerlustig gewesen wäre, die Menschen um sich als ebenso Musik- bzw- Incubus- bzw. Boyd- Verliebt wie sich selbst zu betrachten und verstanden hätte, dass deren Bestreben nunmal auch der Bühne galt und ihr maßloser Alkoholkonsum und das Neigen zu diversen Zoten der Unterstreichung einer spaßigen, wenn auch natürlich fürchterlich bildungsbefreiten Atmosphäre beitragen sollte (die bei einem Rockfestival absolut fehl am Platz ist), dann hätte auch sie dem ganzen Spektakel vielleicht eine naive Form von Spaß abgewinnen können, die in zu großen Dosen freilich verdummt.
Aber da der Wettergott ihr da, im Gegensatz zu allen Anderen (die ja betrunken waren), einen Strich durch die Rechnung machte, blieb ihr nur noch die letzte Rettung einer solch verkorksten Gesamtsituation: ein spitzfindiger, mit klugem Harald-Schmidt Zitat aufgemachter Blogeintrag.
Ein würdevolles Fernbleiben solch niederer Massenbespaßung gibt in der Regel ja eher dröge Texte her, die da handeln vom Kaffeekochen, Erwerbsverdienst oder sonstwie drolligen Beschäftigungen, weshalb ich ihr dankbar bin, diesen Selbstversuch gewagt zu haben.
Doch greinen soll sie nicht (zu sehr), denn so wie sich ihre Lieblingsband musikalisch entwickelt, kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie ausschließlich bestuhlte Konzerte in überdachten Hallen ohne dicke, besoffene Kinder spielen wird, die zur Zivilen Zeit, sagen wir so gegen halb neun, beendet werden. Oder wann kommen nochmal die neuen USA-Serienimporte auf Pro Sieben? Mich persönlich stört Gottes Irrsinn übrigens auch des Öfteren, in dem er sich einfach weigert Rockstars fünf Meter groß in die Welt zu setzen und uns dafür von einem Großteil der augenscheinlich minderjährigen Bevölkerung zu befreien, die, aus welchen Kanälen auch immer, ebenfalls gute 100 Taler für diesen Mist beziehen konnten.
@ sweet fanny adams: genau! und deshalb heißt es im august wieder: haldern.
@ magnus: dein schreibstil erinnert mich an jemanden. der schreibt aber selbst fleißig einen blog und würde sich sicherlich zu erkennen geben …
vielen dank für deinen langen kommentar.
ich war schlicht und ergreifend das erste mal stocknüchtern auf einem in meinen augen auch noch völlig überfüllten festival. daher diese klare, unspaßige sicht der dinge.
nach dem 4./5. august schreibe ich nochmal einen festivalbericht, der dann sicher glückstrunken ausfällt. das wetter wird besser sein und um mich herum 63 000 menschen weniger.
– sitzkonzerte bei incubus? in 20 jahren vielleicht. würde den rolling stones auf jeden fall gut tun.
Liebe Frau Bloggerin!
Danke für Ihre zwar zu erwartende, wider Erwarten aber ganz und gar nicht angepisste Antwort auf mein Produkt eines hochprozentigen Cocktails aus Übernächtigung und gleichzeitigem Max Goldt Konsum. Ich selber bin allerdings kein Blogger und Herr Godlt meines Wissens auch nicht, wobei ich sicherlich keinen Anspruch auf Annäherung an Selbigen erheben will, denn als kläglich würde ich meinen Versuch hier im Nachhinein eher bezeichnen. Für Ihre Nachsicht also zum wiederholten Male Dank!
Nüchtern ein Festival zu besuchen ist sicherlich nicht schön und rechtfertigt daher eine von dicken Festivalkindern wahrscheinlich in ihrem Neudeutsch als „Spaßbremserisch“ zu bezeichnende Haltung.
Ferner will ich aber zu bedenken geben, dass der Eindruck der Überfüllung wohl eher darauf zurück zu führen ist, dass nur Gefühlte 30% des Geländes von Menschen eingenommen wurde, diese dafür aber eben ganz schön dolle.
Der Rest des Geländes wahr eben Brachland, dass nur die Hartgesockensten, will sagen: betrunkensten unter den Rockwilligen zum Fuß drauf setzen verleitete.
Mich selbst dünkte es nebenher bemerkt etwas Wunderlich, dass mir die Möglichkeit zum Hinterlassen eine Mail-Adresse seitens dieser Plattform verwährt wurde, da ich dies sonst gerne getan hätte, um zumindest den guten Willen zur Selbstenttanrnung zu bekunden.
Da ich aber in der Blogger-Community ein rechter Nobody bin, sollen diese Versöhnlichen Worte hier genügen.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und einen angemessenen Pegel auf der nächsten Veranstaltung, die übrigens meiner Stammheimat nicht allzu fern angesiedelt ist!