1 Meter 4 und Deppenmagnet

Da bin ich wieder – nach drei Wochen Urlaub, die ich zwar in Hamburg verbrachte, doch geistig und schriftlich abwesend war, mag ich nun wieder ins Netz gehen. Drei Wochen gehen schnell herum, wenn man pro Tag ein bis zwei Stunden liest, schläft, Freunde trifft, malt, Klavier spielt oder auch einfach nur mal herumdöst.

Und dann natürlich noch die Vorbereitungen für den Nachwuchs – Wickelkommode auspacken, feststellen, dass sie kaputt ist, feststellen, dass der sauteure Babyladen auch noch in Bezug auf Kundendienst Schrott liefert, um dann zu Ikea zu fahren um dort für ein Viertel des Preises zuzuschlagen. Aufgebaut ein bisschen schief das Ganze, aber es steht.

Wieder einmal musste ich in den letzten drei Wochen erkennen, dass ich kein Freund von öffentlichen Verkehrsmitteln bin. Da ich mit 1,04 Metern Bauchumfang aber nicht mehr aufs Fahrrad steigen mag und mich hinterm Steuer eines Autos inzwischen ebenfalls nicht zu Hause fühle, bleibt mir keine große Wahl, als Bus und Bahn zu nutzen und den vor ein paar Tagen mit Freundin J. besprochenen „Deppenmagnet“ zu spüren, den ich mit mir herumtrage.
Sei es, dass der große Mann neben mir fast meinen linken Oberschenkel belegt, das Gör vor mir den Walkman mit ziemlicher Scheißmusik dermaßen auf Anschlag dreht, dass man das Gefühl hat, man würde mit den Ohren an den Fernseher gepresst sitzen und sich zwanzig MInuten eine Bildstörung reinziehen – oder einem Rucksäcke, Schirme oder Ellenbogen in den Rücken oder ins Gesicht gebohrt werden. Feuchter Atem im Nacken ist auch schön. Vor allem, wenn rundherum noch drei Meter Platz vorhanden ist.

Ansonsten ist aber alles gesund und rund –
Joshuatree – vielen Dank der besorgten Nachfrage, hier ist die Bestätigung, dass es mir prima geht!
Ann-Christin – wie war die erste Bikram-Yoga-Stunde? Esoterikfrei?
brittbee – wie war/ist es in Portugal? Danke für’s Mitfiebern – Stichtag ist in fünf Wochen, 22.10.

Ein bisschen übel nehme ich dem Lütten, dass er sich zeitlich so platziert hat, dass das Pearl-Jam-Konzert in Berlin für mich ausfällt.

Und bei so etwas würde ich auch gern mal wieder in den vordersten Reihen stehen:

Weit entfernt

Stelle ich eine tief verwurzelte Abneigung gegen gewisse Dinge fest, versuche ich oft nachzuvollziehen, woher diese stammen könnte. Hat meine Mutter mich als Baby bei Vollmondnächten unter Trauerweiden gelegt und Wurzeln ausgegraben – war das gar nicht die Babygymnastik, sondern Neo-Feng-Shui? Eigentlich bin ich mir sicher, dass sie mit so etwas nichts am Hut hatte.

Doch woher kommt dann die langsam durch meine Poren kriechende Abneigung, sobald etwas esoterisch wird? Dabei bin ich recht paradox unterwegs, bin ich doch jemand, der alterantiven Heilmethoden oder übersinnlichen Dingen nicht überheblich gegenüber steht. Zu der Gruppe Menschen, die nur das glauben, was sie sehen, gehöre ich wahrhaftig nicht, und ich bin der Überzeugung, dass Menschen mit einer starken Selbstüberschätzung durch die Welt gehen, wenn sie meinen, dass es bestimmte Dinge nicht geben kann, nur weil wir sie wissenschaftlich nicht erklären können.
Das hieße, dass der Mensch bereits alles erfasst hat auf der Welt – und daran glaube ich wiederum nicht. Ich denke, dass es noch unendlich viele Sachen zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können, weil wir (noch) nicht über die geistigen und wissenschaftlichen Möglichkeiten verfügen.

Also – ich bin nicht wirklich intolerant, was dieses Themengebiet angeht. Und doch sitze ich in Yogakursen, höre die einschläfernde Stimme der Lehrerin, wie sie uns zum Singen animiert, dann schließen alle die Augen, lächeln milde und trällern: „May the long time sun shine upon you …“ Und ich komme mir doof vor. Dabei singe ich für mein Leben gern. Liegt vielleicht an mir, nicht an der Sache, aber ich finde das albern.

Yoga an sich finde ich nicht albern, den Sinn und Zweck kann ich gut nachvollziehen – aber dieses Gesinge und Esogehabe drumherum – da bekomme ich Gänsehautentzündung. Da bin ich kurz davor, loszugiggeln wie eine Fünfzehnjährige, verdrehe innerlich die Augen und denke „Haben wir’s denn bald?“. Die Gäule gehen mit mir durch und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn jetzt einer aufspringt, Luftgitarre spielt und „Highway to hell“ losgröhlt. Ja, ich weiß – kindisch, der Sache nicht entsprechend – aber ich kann nicht anders.

Warum müssen Menschen aus solchen Bereichen – Yoga, Esoterik, Selbstfindung, gern auch aus pädagogischen Bereichen, nur oft so salbungsvolle Stimmen und Stimmungen haben? In meinem Lieblingssport Kung Fu, wird auch viel Wert auf mentale Schulung gelegt, aber anders. Fragt man mich während einer Yogastunde mit leiser Singsangstimme: „Und wenn du jetzt ganz tief in dich gehst – was fühlst du dann?“, möchte ich antworten: „In meiner Hüfte zieht es“.
Neulich habe ich eine Anzeige gelesen: „Yoga ohne Esoterik“ – ich glaube, das probiere ich mal. Oder doch wieder Kung Fu.

Neulich

Vor ein paar Tagen im Babyladen:

Emma zur Verkäuferin: Sagen Sie, sehe ich das richtig, dass in diesem Windeleimer Lüftungsschlitze sind? Wozu sind die denn gut?
Verkäuferin: Äääähm. Zeigen Sie mal. Ja, ähm, vielleicht – damit es im Eimer besser riecht?
Emma: Aber was habe ich denn davon, wenn es im Eimer besser riecht, dafür aber das Zimmer stinkt?
Verkäuferin: Ja also, das weiß ich auch nicht.

Welcher Weltfremde denkt sich denn sowas aus?

Nachdem sich Fräulein Wunder wundert, warum die Sängerin so unkenntlich ist, hier die Lösung – so sieht die Lady aus:

Ein Song, der in der Stöckchenauflistung keinen Platz fand, den man aber dringend erwähnen sollte. Leider eine grottige Aufnahme, aber die Stimme hört man recht gut. Und die ist grandios, Sarah Bettens von K’s Choice, „Not an Addict“:

Morsches Stück Holz

Es zerfällt zwar fast, doch hier ist es endlich, das überfällige Stöckchen, welches mir Joshuatree einst zuwarf:

1. Ein Lied aus deiner frühesten Kindheit
„You drive me crazy“ – von Shakin’ Stevens. Was sonst. Mein Held.

2. Ein Lied, das du mit deiner ersten großen Liebe assoziierst
The Jeremy Days „Rome wasn’t build in a day“. Tolle Band, tolle Zeit, natürlich kein tolles Ende.

3. Ein Lied, das dich an einen Urlaub erinnert
Israel Kamakawiwo’ole, „Over the Rainbow“ – Flitterwochen in den USA, sieben Tage davon Hawaii, Kauai. Palmenfeld, Mustang Cabriolet und Sonnenuntergang. Zufällig den schönsten Aussichtspunkt der Insel entdeckt, zwei Einheimische halten neben uns, drehen das Radio auf, „Iz“ singt los, der Fahrer holt zwei Bierflaschen vom Rücksitz und tanzt mit seiner Frau im Sonnenuntergang.

4. Ein Lied, von dem du in der Öffentlichkeit nicht so gerne zugeben möchtest, dass du es eigentlich ganz gerne magst
Oh, das gibt es viele, da ich auf diesen ganzen 80er-Langhaarmetalkreischkrempel stehe, was meiner Umwelt Entsetzen entlockt. Aber eins, das ist tatsächlich etwas peinlich. Auch auf die Gefahr hin, dass sich einige von diesem Blog mit verzerrtem Gesicht abwenden werden: „Annie‘s Song“ von John Denver. Erst einmal gestehe ich, dass ich Countrymusik irgendwie mag. Und diesen Song habe ich auf einer Kanureise nach Schweden vor sechs Jahren fast jeden Abend am Lagerfeuer gesungen. Kitschig, aber schön war’s.

5. Ein Lied, das dich – geplagt von Liebeskummer – begleitet hat
„Raining in Baltimore“ von den Counting Crows. Und „Anna begins“. Ach, eigentlich die ganze Platte „August and everything after“. Der perfekte Soundtrack für das erste Jahr als Twen, mit der anstrengenden Sinnsuche, Stilsuche, Suche nach Tieferem, Sinnvollerem und den echten Gefühlen.

6. Ein Lied, das du in deinem Leben vermutlich am häufigsten gehört hast
Pearl Jam, „Alive“

7. Ein Lied, das dein liebstes Instrumental ist
Es ist nicht mein absolutes Lieblingsstück, dafür gibt es zu viele wundervolle, klassische Stücke, die bei mir eine Gänsehaut verursachen. Doch dieses verbinde ich mit Momenten aus meiner Kindheit: Aus der Klaviersonate A-Dur KV 331 von Wolfgang Amadeus Mozart, Türkischer Marsch (Rondo Alla Turca) – das musste mir meine Klavierlehrerin immer am Ende der Stunde vorspielen, weil ich es so mochte. Ich habe es selbst nie gelernt.

8. Ein Lied, das eine deiner liebsten Bands repräsentiert
Stone Temple Pilots, „Plush“. Und „Drive“ von Incubus. Ich kann mich nicht entscheiden.

9. Ein Lied, in dem du dich selbst wieder findest oder in dem du dich auf eine gewisse Art und Weise verstanden fühlst
Verstanden fühlen oder mich selbst wieder finden ist etwas dicke, aber mich berührt dieses Lied immer wieder: „Foolish Games“ von Jewel. Mir kam es vor vielen Jahren so vor, als hätte sie meine damals unglückliche Liebesgeschichte in einen Songtext gegossen.

10. Ein Lied, das dich an eine spezielle Begebenheit erinnert (und welche das ist)
„Killing me softly“, Roberta Flack. NICHT von den Fugees. 16 Jahre jung, der erste Auftritt mit Band auf dem Hamburger Rathausmarkt. In Pausen klammere ich mich an meine Wasserflasche, mache mir fast in die Hose und möchte im Erdboden versinken.

11. Ein Lied, bei dem du am besten entspannen kannst
Damian Rice, „The Blowers Daughter“

12. Ein Lied, das für eine richtig gute Zeit in deinem Leben steht
Weezer, „Island in the sun“. In den letzten drei Jahren immer und immer wieder gehört. Eine verdammt gute Zeit!

13. Ein Lied, das momentan dein Lieblingssong ist
The Kooks, „Ooh la“. Einfach nur geil.

14. Ein Lied, das du deinem besten Freund widmen würdest
Ein selbst geschriebenes. Egal wie gut oder schlecht – es würde von Herzen kommen.

15. Ein Lied, bei dem du das Gefühl hast, dass es außer dir niemand gerne hört
Na, ist doch klar, siehe Frage 1: Shakin’ Stevens, „You drive me crazy“. Bisher meist Mitleid auf den Gesichtern um mich herum gesehen. Außer beim Konzert im April 2005 in London.

16. Ein Lied, das du vor allem aufgrund seiner Lyrics magst
Anouk, „Michel“. Aber nicht vor allem wegen der Lyrics. Auch wegen der Lyrics. Wundervoll unaufgeregtes Liebeslied über eine längst vergangene Liebe, die noch immer am Herzen zieht.

Hey Michel how’s life are you ok
I wonder if you ever think of me
It’s been nine years since that kiss
I can help but reminisce
Hey Michel do you remember

(…)

You were my first and worst love
And so it only could go wrong
But ain’t that just the way you learn
Hey Michel I just wanted to let you know
That someone else has stolen my heart
And now another girl has caught your eye
That doesn’t mean I don’t think of you
I am just hoping that she’ll treat you right

Do you remember
How we walked the street to the beat
Hand in hand and you and me
Smiling faces so in love
Hoping that they all could see
That we belonged together you and me against the world
But we found out the hard way cause it wasn’t meant to be
Now it is you and her I see
It was just a silly dream

17. Ein Lied, das weder deutsch- noch englischsprachig ist und dir sehr gefällt
France Galle, „Ella elle l’a“. Weil ich das Lied wirklich mag, weil ich die französische Sprache sehr gern höre, und weil ich die Verehrung für Ella Fitzgerald teile.

18. Ein Lied, bei dem du dich bestens abreagieren kannst
Monster Magnet, „Negasonic Teenage Warhead“ und „Superunknown“ von Soundgarden. Es gibt nichts Besseres, um sich vor allem tanzend so richtig abzureagieren. Ganz groß.

19. Ein Lied, das auf deiner Beerdigung gespielt werden sollte
Selig, „Arsch einer Göttin“. Nein, keine Ahnung. Bloß nichts mit irgendeinem betont tiefgründigen oder traurigen Songtext. Lieber Klassik, schöne Melodien, nicht schmalzig oder traurig.

20. Ein Lied, das du zu den besten aller Zeiten rechnen würdest
Da greife ich mal in die Jazzstandardkiste: „My funny Valentine“, Komponist: Richard Rodgers, Texter: Lorenz Hart. Ein Lied, welches 1937 das erste Mal im Musical „Babes in Arms“ gespielt wurde, um dann später von allen Jazzsängern dieser Erde gecovert zu werden. Eine der schönsten Versionen ist in meinen Ohren von Ella Fitzgerald. Seit 15 Jahren verehre ich dieses Lied.
Und: Jimi Hendrix, „All along the Watchtower“.

Uuuund hepp!

Ganze zwei Stöckchen flogen mir in den letzten Tagen entgegen, einmal von der Spreepiratin und von Matt und ich muss sagen: Jo, ich heb sie auf! Vermutlich bin ich die Erste, die gesteht: Ich mag Stöckchen. Ich mag Fragebögen und die Antworten dazu, und schon als Teenager fand ich die „Meine Freunde“-Bücher super. Also los.

Warum bloggst du?
„Weil’s mir schmeckt“, würde ein Nikotinsüchtiger jetzt sagen. „Weil’s Spaß macht“, sage ich. Und die Wahrheit ist: Ich habe keine Wahl mehr, ich kann nicht anders. Ich bekomme Zuckungen, wenn ich keinen Internetanschluss in meiner Nähe habe. Und Bloggen? Kommunikationssucht, Extrovertiertheit, ich mag Bühnen, ich bin halt in gewissem Maße eine Rampensau. So wie alle hier, möchte ich behaupten.

Seit wann bloggst du?
Seit 22. November 2005

Selbstporträt

Augenringe mit Morgenkaffee ohne Koffein. Brrrr.

Warum lesen deine Leser dein Blog?
Ja, sagt doch mal. Warum?

Welche war die letzte Suchanfrage, über die jemand auf deine Seite kam?
„Schwesternhaube“. Passt super. Meine Großtante war Diakonisse.

Welcher deiner Blogeinträge bekam zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit?
Meinem extrem coolen Zorro-Outfit wurde, denke ich, nicht ausreichend Beachtung geschenkt.
Hier könnt Ihr das nachholen, bitte ganz runterscrollen!

Dein aktuelles Lieblingsblog?
Ich könnte noch nicht einmal meine Lieblingsplatte benennen, da kann ich mich nicht entscheiden. Ich lese gern Mequito, St. Burnster, Spreepiratin, Fräulein Wunder, Absurdistan, Das hermetische Café, Fräulein Klugscheisser, ach, guckt doch auf die Blogroll.

Welches Blog hast du zuletzt gelesen?
Ääääh, Spreepiratin.

An welche vier Blogs wirfst du das Stöckchen weiter und warum?
St. Burnster, weil sein letzter Eintrag so unglaublich kurz ist, dass er mal etwas zu tun bekommen muss.
Fräulein Wunder, weil ich bestimmt ihre Antworten mag.
Joshuatree, weil ich ihm immer noch ein morsches Stöckchen schulde, welches viel mit Musik zu tun hat und mir Mühe gebe, das am Wochenende endlich mal online zu stellen.
Opa, weil ich überhaupt nicht einschätzen kann, ob Opa Stöckchen aufhebt und beantwortet – oder mir gleich wieder um die Ohren wirft.

Bravo-Stöckchen

Gerade eben ist mir ein Stöckchen von Fräulein Wunder vor die Füße gefallen, das hebe ich doch mal schnell auf. Das Bravo-Titelblatt meines Geburtstags zeigt lauter Menschen, die ich nicht erkenne
Maggie Mae war das „total verrückte Huhn“ und Schlagersängerin, Holm kommt mir doch etwas bekannt vor – Andreas Holm? Ist doch auch so’n Schlagerfuzzi. Dr. Korff erzählt, wie man Mädchen aufklärt, Richard Thomas lächelt als John Boy der Waltons vom Poster und Oliver Tobias, Schauspieler, schreibt für uns. Den Namen Gemma hab ich noch nie gehört, und den Typ dazu noch nie gesehen. Kein Rock’n’Roll an meinem Geburtstag. Keine Geschichten, die ich zu einem der Covermodels erzählen könnte. Seufz.

Vielleicht können das ja andere – das Stöckchen der Bravo-Titelbilder an und um den Geburtstag herum geht an:

Die Spreepiratin, St. Burnster, dessen Sommerpause am 1. August vorbei ist, und an Mek

Die buckelige und knuddelige Nachbarschaft / Zwischenbericht

Unsere jetzigen Nachbarn bewegen sich in einer Spannbreite von schrecklich bis schrecklich nett. Im Haus selbst haben wir einmal unseren direkten Nachbarn T. – Sportfotograf und ein wirklich netter Mensch, mit dem wir ab und an mal beim Italiener sitzen oder auf dem Hausflur klönen.

Auch direkt neben uns, allerdings im Haus nebenan, wohnt eine Großfamilie, die den Begriff „Ruhe“ so noch nicht gehört hat. Nächtliche Streitereien um drei Uhr bei offenem Fenster, Kinder, die bis ein Uhr nachts schreiend durch die Wohnung trampeln oder nachmittags im Hof so dermaßen lange am Stück immer wieder diegleichen Worte brüllen, dass man meint, ihnen müsste gleich der Kopf platzen. Dann die Musikanlage, die wahlweise um Mitternacht oder sieben Uhr morgens auf Anschlag aufgedreht wird und noch so einiges mehr. Mit Fenster zu kann man viel lösen, nur ist die Lust, bei diesem Wetter mit geschlossenem Fenster zu schlafen, recht gering. Ohrstöpsel helfen manchmal.

Gestern nacht um ungefähr 4:15 dann ein anderes Geräusch der Nachbarn, die zwei Stockwerke unter uns wohnen: Ihr hörbar noch sehr kleines Baby heulte. Herzzerreissend. Und spätestens da merkt man, wie weichgeklopft man in Bezug auf solche Störungen als Schwangere ist – könnte ich doch normalerweise jeden, der mich mit Geräuschen um die Uhrzeit um meinen Schlaf bringt, vierteilen, lag ich lächelnd und wach im Bett, und stand nach ein paar Minuten mit den Worten auf: „Ich mach mal das Fenster zu, solange das noch so einfach ist.“

Die buckelige Nachbarschaft / Teil 1-3

Mir wird schlecht. Der Uniformierte kommt an die Beifahrerseite: „Ihren Ausweis bitte.“ „Wieso das denn?“ „Wir müssen Ihre Personalien aufnehmen.“ Mit feuchten Fingern friemel ich meinen Perso aus der Tasche. M. steht neben dem Polizeiwagen herum, zuckt mit den Schultern, guckt entschuldigend. Wie eine gelähmte Schnecke sitze ich noch immer auf dem Beifahrersitz. „Und nun?“ frage ich. „Sie können entweder hinter uns her zur Wache mitfahren oder sich ein Taxi bestellen.“ Taxi. Sehr witzig. Nach Hause kostet das ja auch nur schmale 30 bis 40 Mark. Toller Tipp. M. reicht den Autoschlüssel durch das Fenster, „Ist kein Problem, ganz normale Gangschaltung, fahr einfach hinterher.“ Noch witziger. Seit zwei Jahren stolze Führerscheinbesitzerin habe ich bisher nichts anderes als eine italienische Keksdose durch die Welt gesteuert, mit Monstertrucks habe ich weniger Erfahrung.
Na, was soll’s, mir bleiben nicht viele Möglichkeiten. Innerlich fluchend rutsche ich auf den Fahrersitz, währen der Polizeiwagen bereits wendet. Den Sitz muss ich so weit nach vorne schieben, dass mein Kinn am Lenkrad klebt, dann tippe ich mit dem Fuß auf das Kupplungspedal. Nichts passiert. Ich trete stärker, es neigt sich zwei Millimeter. Den rechten Fuß auf den linken drückend schaffe ich es, das Pedal bis zum Anschlag durchzutreten. Das kann ja lustig werden. Irgendwie bekomme ich das Ungetüm auf die Straße, auf die richtige Fahrbahn und kämpfe abwechselnd damit, die Gänge umzuschalten und dem Polizeiwagen nicht hinten drauf zu fahren. So muss ein Besoffener fahren, der alles doppelt sieht.

Auf der Wache angekommen, nehmen sie M. mit in einen Raum hinter dem Tresen und deuten mir an, zu warten. Inzwischen ist es halb drei und ich frage mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich diesen dusseligen Polizisten vor ein paar Tagen einfach angerufen hätte. Meine Augenlider werden schwer, ich döse. Schließlich geht die Tür auf, einer der Polizisten kommt raus: „Also das mit ihrem Freund dauert noch etwas.“ „Das ist nicht mein Freund.“ „Was? Ach so. Naja auf jeden Fall dauert es noch etwas. Und eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten – entweder wir behalten ihn über Nacht hier oder jemand hinterlegt 1 000 Mark Kaution für ihn.“ „Und dann darf er nach Hause?“ „Genau.“ „Nur wegen dieser Auffahrsache?“ „Tja, so ist das Gesetz. Wenn man sich absichtlich stur stellt und nicht zahlt, kann so etwas passieren.“ „Das heißt, ich müsste jetzt 1 000 Mark organisieren?“ „Wenn Sie Ihren Freund heute noch mitnehmen wollen, ja.“ „Er ist nicht mein Freund.“ „Ach ja, klar.“

Ich ringe mit mir. Drei Möglichkeiten habe ich: Mit dem Auto für Große nach Hause holpern und riskieren, unterwegs ein paar Briefkästen mitzunehmen, mit einem Taxi für inzwischen höchstwahrscheinlich 50 Mark nach Hause fahren, oder zum Automaten dackeln und die Kaution ziehen. 1 000 Mark. Das ist genau der Grenzbetrag, den man an einem Tag abheben kann – wenn der Dispo es noch hergibt. Und das könnte eng werden. Na super. Egal. Ich will nach Hause. „Wo ist denn hier ein Bankautomat?“ Um viertel vor drei stehe ich an der roten Geldausgabe, bereitwillig schiebt sie mir die Scheine entgegen. Puh. Zurück auf der Wache steht der andere Polizist am Tresen: „Na, da wird sich Ihr Freund aber freuen.“ „Das ist nicht … ach. Sagen Sie mal, wie lange dauert es jetzt noch? Und bekomme ich eigentlich irgendeine Sicherheit für mein hinterlegtes Geld?“ „Von uns nicht, aber ich würde mir an Ihrer Stelle den Fahrzeugbrief geben lassen, wer den hat, dem gehört der Wagen.“ „Gut, und Ihr Name? Damit ich einen Zeugen habe, dass ich das Geld hier abgegeben habe.“

Nachdem ich den Namen notiert habe, kommt M. endlich aus der Tür, dankbar,schuldig lächelnd. „Emma, das vergesse ich Dir nie.“ „Ich Dir auch nicht. Können wir jetzt los?“ „Ja, klar. Der Polizist meinte, ich sollte Dir den Fahrzeugbrief als Sicherheit geben. Hier. Aber das Geld hast Du morgen Früh zurück. Versprochen.“ „Das will ich Dir auch geraten haben. Sonst verkaufe ich Dein Auto.“ Auf dem Nachhauseweg schlafe ich fast ein, M. sabbelt. Um kurz vor vier liege ich endlich in meinem Bett – was für ein Alptraum. Nur ein Bier für eine gute Tat. Das mit den guten Taten überlege ich mir in Zukunft.

Morgens um zehn Uhr klingelt es, M. steht freudestrahlend vor der Tür und streckt mir einen Umschlag entgegen: „Zähl bitte einmal kurz nach, ob es stimmt.“ „Ja, passt. Sind die Scheine denn echt?“, versuche ich einen müden Scherz. M. guckt beleidigt „Es tut mir wirklich so was von Leid, ich mach das wieder gut.“ „Nein, bitte nicht. Ist schon okay.“ Ich drücke ihm seinen Fahrzeugbrief in die Hand und die Tür zu.

Abends klingelt es wieder, M. steht wieder vor mir. Statt eines Umschlags streckt er mir eine Flasche Wein entgegen: „Komm, ein Glas als Dankeschön wenigstens.“ Ich bin einfach zu nett. Zwanzig Minuten später sitzen wir in meiner spärlich eingerichteten Wohnung und trinken Rotwein. M. guckt langsam glasig und legt los: „Ach Emma, wenn es nur mehr Frauen wie Dich geben würde. Alle Weiber, die ich bisher kennen gelernt habe, sind nicht so patent, nicht mutig, hilfsbereit, spontan … “ Auch das noch. Was habe ich eigentlich verbrochen? „Du, so langsam bin ich ganz schön müde.“ „Nee, echt, Emma. Eigentlich möchte ich mal eine Frau kennen lernen, die genauso ist wie Du.“ Mich schief angrinsend kippt M. sich den Rest seines Glases in den Mund. „Du, wie gesagt – ich bin ziemlich müde, ich muss Dich jetzt leider rausschmeißen.“ „Och, schade, na ja, wir können ja ein anderes Mal weiterreden. Wir sollten das wirklich öfter machen.“ Mir wird unwohl. „Ja, klar. Gute Nacht.“
Zwei Monate später bin ich ausgezogen.