Mir wird schlecht. Der Uniformierte kommt an die Beifahrerseite: „Ihren Ausweis bitte.“ „Wieso das denn?“ „Wir müssen Ihre Personalien aufnehmen.“ Mit feuchten Fingern friemel ich meinen Perso aus der Tasche. M. steht neben dem Polizeiwagen herum, zuckt mit den Schultern, guckt entschuldigend. Wie eine gelähmte Schnecke sitze ich noch immer auf dem Beifahrersitz. „Und nun?“ frage ich. „Sie können entweder hinter uns her zur Wache mitfahren oder sich ein Taxi bestellen.“ Taxi. Sehr witzig. Nach Hause kostet das ja auch nur schmale 30 bis 40 Mark. Toller Tipp. M. reicht den Autoschlüssel durch das Fenster, „Ist kein Problem, ganz normale Gangschaltung, fahr einfach hinterher.“ Noch witziger. Seit zwei Jahren stolze Führerscheinbesitzerin habe ich bisher nichts anderes als eine italienische Keksdose durch die Welt gesteuert, mit Monstertrucks habe ich weniger Erfahrung.
Na, was soll’s, mir bleiben nicht viele Möglichkeiten. Innerlich fluchend rutsche ich auf den Fahrersitz, währen der Polizeiwagen bereits wendet. Den Sitz muss ich so weit nach vorne schieben, dass mein Kinn am Lenkrad klebt, dann tippe ich mit dem Fuß auf das Kupplungspedal. Nichts passiert. Ich trete stärker, es neigt sich zwei Millimeter. Den rechten Fuß auf den linken drückend schaffe ich es, das Pedal bis zum Anschlag durchzutreten. Das kann ja lustig werden. Irgendwie bekomme ich das Ungetüm auf die Straße, auf die richtige Fahrbahn und kämpfe abwechselnd damit, die Gänge umzuschalten und dem Polizeiwagen nicht hinten drauf zu fahren. So muss ein Besoffener fahren, der alles doppelt sieht.
Auf der Wache angekommen, nehmen sie M. mit in einen Raum hinter dem Tresen und deuten mir an, zu warten. Inzwischen ist es halb drei und ich frage mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich diesen dusseligen Polizisten vor ein paar Tagen einfach angerufen hätte. Meine Augenlider werden schwer, ich döse. Schließlich geht die Tür auf, einer der Polizisten kommt raus: „Also das mit ihrem Freund dauert noch etwas.“ „Das ist nicht mein Freund.“ „Was? Ach so. Naja auf jeden Fall dauert es noch etwas. Und eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten – entweder wir behalten ihn über Nacht hier oder jemand hinterlegt 1 000 Mark Kaution für ihn.“ „Und dann darf er nach Hause?“ „Genau.“ „Nur wegen dieser Auffahrsache?“ „Tja, so ist das Gesetz. Wenn man sich absichtlich stur stellt und nicht zahlt, kann so etwas passieren.“ „Das heißt, ich müsste jetzt 1 000 Mark organisieren?“ „Wenn Sie Ihren Freund heute noch mitnehmen wollen, ja.“ „Er ist nicht mein Freund.“ „Ach ja, klar.“
Ich ringe mit mir. Drei Möglichkeiten habe ich: Mit dem Auto für Große nach Hause holpern und riskieren, unterwegs ein paar Briefkästen mitzunehmen, mit einem Taxi für inzwischen höchstwahrscheinlich 50 Mark nach Hause fahren, oder zum Automaten dackeln und die Kaution ziehen. 1 000 Mark. Das ist genau der Grenzbetrag, den man an einem Tag abheben kann – wenn der Dispo es noch hergibt. Und das könnte eng werden. Na super. Egal. Ich will nach Hause. „Wo ist denn hier ein Bankautomat?“ Um viertel vor drei stehe ich an der roten Geldausgabe, bereitwillig schiebt sie mir die Scheine entgegen. Puh. Zurück auf der Wache steht der andere Polizist am Tresen: „Na, da wird sich Ihr Freund aber freuen.“ „Das ist nicht … ach. Sagen Sie mal, wie lange dauert es jetzt noch? Und bekomme ich eigentlich irgendeine Sicherheit für mein hinterlegtes Geld?“ „Von uns nicht, aber ich würde mir an Ihrer Stelle den Fahrzeugbrief geben lassen, wer den hat, dem gehört der Wagen.“ „Gut, und Ihr Name? Damit ich einen Zeugen habe, dass ich das Geld hier abgegeben habe.“
Nachdem ich den Namen notiert habe, kommt M. endlich aus der Tür, dankbar,schuldig lächelnd. „Emma, das vergesse ich Dir nie.“ „Ich Dir auch nicht. Können wir jetzt los?“ „Ja, klar. Der Polizist meinte, ich sollte Dir den Fahrzeugbrief als Sicherheit geben. Hier. Aber das Geld hast Du morgen Früh zurück. Versprochen.“ „Das will ich Dir auch geraten haben. Sonst verkaufe ich Dein Auto.“ Auf dem Nachhauseweg schlafe ich fast ein, M. sabbelt. Um kurz vor vier liege ich endlich in meinem Bett – was für ein Alptraum. Nur ein Bier für eine gute Tat. Das mit den guten Taten überlege ich mir in Zukunft.
Morgens um zehn Uhr klingelt es, M. steht freudestrahlend vor der Tür und streckt mir einen Umschlag entgegen: „Zähl bitte einmal kurz nach, ob es stimmt.“ „Ja, passt. Sind die Scheine denn echt?“, versuche ich einen müden Scherz. M. guckt beleidigt „Es tut mir wirklich so was von Leid, ich mach das wieder gut.“ „Nein, bitte nicht. Ist schon okay.“ Ich drücke ihm seinen Fahrzeugbrief in die Hand und die Tür zu.
Abends klingelt es wieder, M. steht wieder vor mir. Statt eines Umschlags streckt er mir eine Flasche Wein entgegen: „Komm, ein Glas als Dankeschön wenigstens.“ Ich bin einfach zu nett. Zwanzig Minuten später sitzen wir in meiner spärlich eingerichteten Wohnung und trinken Rotwein. M. guckt langsam glasig und legt los: „Ach Emma, wenn es nur mehr Frauen wie Dich geben würde. Alle Weiber, die ich bisher kennen gelernt habe, sind nicht so patent, nicht mutig, hilfsbereit, spontan … “ Auch das noch. Was habe ich eigentlich verbrochen? „Du, so langsam bin ich ganz schön müde.“ „Nee, echt, Emma. Eigentlich möchte ich mal eine Frau kennen lernen, die genauso ist wie Du.“ Mich schief angrinsend kippt M. sich den Rest seines Glases in den Mund. „Du, wie gesagt – ich bin ziemlich müde, ich muss Dich jetzt leider rausschmeißen.“ „Och, schade, na ja, wir können ja ein anderes Mal weiterreden. Wir sollten das wirklich öfter machen.“ Mir wird unwohl. „Ja, klar. Gute Nacht.“
Zwei Monate später bin ich ausgezogen.
Puh.Glück gehabt. Und der Umzug klingt nach einer weisen Entscheidung.M. wäre ganz sicher auf Kuschelkurs gegangen. Ich staune aber auch über Deinen Mut (ist es Mut? oder Grundvertrauen?).
Ich bin auch bereit, viel Vorschussvertrauen zu geben, aber so weit wie Du würde ich nicht gehen.
[kommt noch ein Teil?]
Naivität könnte man auch sagen. Obwohl ich ja zum Glück nicht enttäuscht wurde.
Aber inzwischen, satte zehn Jahre später, würde ich solche M’s die Nacht auf der Wache schmoren lassen und im Notfall zu Fuß nach Hause gehen.
Dieses Kapitel ist beendet, aber es gibt noch mehr seltsame Nachbarn, mit denen ich das Vergnünge hatte. Teil 2-1 ist in geistiger Vorbereitung.
Endlich der langersehnte dritte Teil. M´s Zuneigungsbekundung lässt sich durchaus nachvollziehen. Eine Frau die einen vorbehaltlos aus dem Knast holt sollte man(n) sich warm halten. Der Traum eines jeden Kleinkriminellen 😉
ich hätte ihn da drin verschmoren lassen, ziehe aber trotzdem für dir den Hut! 🙂
Danke für Deine (toll geschriebene) Geschichte. Ich finde, die Reaktionen sind zu grausam. Hätte M. nicht bullshitschleichend um Dich herumgeiert, sondern sich einfach nur bedankt, wären die Reaktionen doch anders, oder? You did what you did, and it all went well…
Ich freue mich auf 2.1, werde mich aber erst einloggen, wenn die Story fertig ist und ich sie am Stück lesen kann 😉
@ bauchlastig: ja, meine ader für schräge vögel ging in dem alter so weit, dass meine eltern bei jedem freund, von dem ich ihnen erzählte, als erstes fragten: „hat er einen führerschein? macht er irgendwas – beruflich?“ :-)))
@ fräulein wunder: danke. ist ja zum glück gut gegangen.
@ joshuatree: dankeschön. ja, ein einfaches dankeschön hätte tatsächlich gereicht. und der umzug hatte auch noch ein paar mehr gründe. 🙂