„Mein Kind hat Hautausschlag und seit drei Tagen 40 Fieber – was meint Ihr könnte das sein?“ Keine Ahnung. Fieber mit Hautausschlag? Aber am besten wartest Du noch drei Tage – und bekommst qualifizierte Antworten von Fremden aus dem Internet. Geh bloß nicht zum Arzt.
Und wieder einmal in der Rubrik „Dumme zum Mitreden gesucht“ angelangt, fällt mir alles aus dem Gesicht, wenn ich solche Einträge in Elternforen lese.
Um nichts Existentielles ging es heute. Oder doch? Ich war im Reiseforum unterwegs – auf der Suche nach guten Tipps für Ziele mit Kindern.
Eine immer wiederkehrende Fragen fiel mir ins Auge: „Kann ich meinem Kind eine lange Autofahrt zumuten?“ Haha!! Na, wenn Du vorhast, Dein Kind mit Klebeband am Rücksitz festzubinden, ihm fünf Stunden lang Nahrung, Trinken und Aufmerksamkeit zu verwehren, dann könnte es schon etwas strapaziös werden.
Wenn es allerdings eine zwar lange aber etwas nett gestaltete Autofahrt mit genügend Pausen wird – warum um Himmels willen denn nicht? Aus dem Bedürfnis heraus, Kindern nichts zuzumuten, entsteht die fatale Haltung, Kindern nichts mehr zuzuTRAUEN. Die Lütten können so einiges und vor allem wollen sie eins nicht: Komplett in Watte gepackt werden.
„Mein Kind hat Sand gegessen – wird es jetzt krank?“, „Dein Peer-Ole hat meinem Liam-Milan eins mit der Schaufel übergezogen – da sollten wir alle gemeinsam drüber reden“, „Oh nein, Schatz – eine Beule! Mami holt Dir gleich die Zauberpillen, dann wird es nicht so dick!“ (Willkommen, liebe Generation potentieller Tablettensüchtiger! Aber – anderes Thema an einem anderen Tag)
Meine Güte.
Auch ich behüte meine Kinder, auch ich möchte, dass es ihnen gut geht. Doch manchmal frage ich mich, was aus all den Kindern werden soll, die nicht mal ne ordentliche Portion Sand verdrücken dürfen, ohne dass Mama gleich mit einem halben Liter Wasser nachspült. Die nicht einmal streiten dürfen, ohne dass die Erwachsenen mit LatteMacchiatoHalbfettDecafToGo in der Hand endlich ihre langweiligen Gespräche unterbrechen und sich als Streitschlichter aufspielen können ? Und ne Beule? Geht von selbst wieder weg. Überraschung.
Welche Freiheiten haben diese Kinder noch? Was für ein Selbstverständnis bekommen sie, wenn sie nicht herausfinden dürfen, dass Bäume verdammt hoch sein können – dass sie es aber ganz alleine schaffen können, da wieder herunterzukommen. Wenn sie nie feststellen dürfen, dass Beulen von selbst abschwellen, ohne dass sie sofort etwas draufgerieben oder eingeschmissen bekommen – dass ihr Körper durchaus robust ist, wenn sie gesund sind und dass sie Dinge auch mal alleine regeln können?
Dass sie auf sich selbst vertrauen und sich selbst etwas zutrauen können?
Wenn ich abends von den Bäumen am Garagenhof herunterkletterte, um zum Abendbrot rechtzeitig zurück zu sein, habe ich keine medizinische Inspektion erdulden müssen. Schrammen zählte ich höchstens als Trophäen zum Angeben und ein Pflaster gab es, wenn das Blut drohte, das Sofa zu versauen. Liebevoll pustete mir meine Mama auf Beulen oder legte kurz einen kalten Löffel drauf.
Und Autofahrten? Lang! Sehr lang! Wenn es nachts losging, mein Papa mich mitten in der Nacht aus dem Bett in eine Wolldecke gewickelt zum Auto trug, ich halbwach die kühle Nachtluft an meinen Füßen fühlte, um dann fünf Stunden später im Auto zu Gebrumme und leiser Musik aufzuwachen – da waren wir schon ein gutes Stück gereist! Zu Viert fast 1500 Kilometer, na klar – das war nicht schnell, das war ne echte Reise, geflogen ist in den Siebzigern und Achtzigern kaum jemand. Aber so haben wir uns die schönen Reiseziele erobert – per Autobahn, Zwischenstopps, Walkman, Malblöcken, Nummerschildwortspielen und in Dauerschleife „Ich sehe was, was Du nicht siehst.“ Drei Wochen Meer und Sonne haben uns für alles entschädigt. Hey! Wir waren in Italien!
Und der Sand schmeckte köstlich.