Fast hätte ich es gar nicht mitbekommen, fast wäre ich zu müde gewesen, fast wäre ich nicht hingegangen. Wie viele Dinge im Leben wohl nur „fast“ passieren? Egal. Wichtig ist, dass sie passieren. Dass man sich aufrafft, dass man die Gelegenheit beim fast kahlen Schopfe packt. Und dann befindet man sich nicht nur fast, sondern mitten drin – in den Momenten, die man nicht vergisst. Die man vor 25 Jahren gern erlebt hätte. Und die man nun doch noch zur Lebensliste hinzufügen darf: „Neneh Cherry einmal live sehen.“
Ein elektronisch elektrisierender Abend, auf der Bühne steht meine Heldin des letzten Jahres der Achtziger. 14 war ich, als ich sie in ihren knöchelhohen Turnschuhen, Radlerhosen, den unbändigen Locken und Gesten so unglaublich toll fand, dass ich mich in Pseudohiphopklamotten schmiss, obwohl das am Berner Bahnhof in Hamburg wahrscheinlich einen etwas anderen Styleeffekt hatte als im Video von „Buffalo Stance“. Megalässig fühlte ich mich trotzdem. Immerhin hatte ich zu dem Zeitpunkt das Skateboard, die großen pinkfarbenen Madonna-Plastikherzohrringe und die weißen Michael-Jackson-Handschuhe deaktiviert.
„Raw like Sushi“ konnte ich rauf und runter mitsingen, im „Haus der Jugend“ in Volksdorf tanzten wir dazu freitagabends um 21 Uhr. Teenagerdisko. Es war 1989. Was habe ich meine Eltern angemotzt, wenn sie es wagten, zwei Meter zu nahe am Eingang zu parken, sodass alle sehen konnten, dass die 14jährige mit ihren Freundinnen abgeholt wird?
Über zwanzig Jahre später stehe ich nun im „Übel und Gefährlich“, und ich freue mich über meinen Parkplatz direkt vor der Tür. Und ebenfalls fast direkt vor mir tanzt eine so coole Musikerin auf der Bühne, dass ich es kaum erwarten kann, 49 zu werden. Und das Publikum erst – das ist angenehm alt. Kein Smartphonegewitter, fast alle konzentrieren sich auf die Musik, auf die Künstlerin, keine Massenknipserei macht die Atmosphäre kaputt. Nur neben mir steht eine Frau, die mir etwas leid tut, so hektisch bemüht ist sie, ein Foto zu machen. Da ich darauf tippe, dass sie nicht den Hinterkopf ihres Vordermannes erinnerungswürdig findet, sind die überblitzten Fotos eine schlechte Ausbeute ihrer endlosen Versuche. Ich bedauere sie, weil sie nichts fühlen kann – außer den Frust, dass es mit den Fotos nicht klappt. Die dramaturgischen Wellen der Musik, die Tanzattacken, die Gänsehautmomente – die bekommt sie nicht mit. Zu beschäftigt ist sie. Nie werde ich es nachempfinden können, warum Menschen so krampfhaft darum bemüht sind, jeden einzelnen Moment auf Fotos fest zu halten, denn welches Gefühl hat man noch beim Betrachten der Bilder, wenn der Augenblick zwar auf dem Handy aber nicht im Herzen gespeichert ist?
Neneh Cherry singt und tanzt, das Publikum freut sich rauf und runter. Das neue Album ist – einfach ausgedrückt – ein Knaller. Einige wenige Comebacks sind nicht lächerlich. Und Neneh Cherry hat gezeigt, wie das geht.